Wintermond
hatte, schwirrte ihr durch den Kopf, nur ihren Sinn konnte sie nicht ausmachen. Sie musste sich ein wenig ausruhen, dann würde sie weitersehen.
Kapitel 32
Phönix
Der Schatten wand sich um ihn, bedrängte ihn, als wolle er mit ihm verschmelzen. Voller Wut und Verzweiflung knurrte er, jaulte, schnappte mit seinen Fängen ins Leere. Ein Schatten, der einen Schatten jagt - ein sinnloses Unterfangen. Und doch gelang es diesem anderen, plötzlich herrenlos gewordenen Schemen, sich an ihm festzukrallen. Danach wurden sie beide ins Dunkel gezerrt. Immer tiefer wurden sie in die Endlosigkeit gerissen, die blau schimmernden Tore nicht mehr als eine vage Ahnung in der Ferne, die er vielleicht nie wieder würde überbrücken können.Trotzdem konnte er nicht loslassen und kämpfte mit aller Kraft gegen den Herrenlosen an, der ihn ohne Unterlass bestürmte. Selbst als der Schatten sich über seine Augen legte und in ihn eindrang, versuchte er noch, seinen Gegner zu packen. Dann versank alles in Dunkelheit.
David war nicht mehr als ein von den Strapazen der Geburt zerschundenes Tier, die Glieder schmerzend, doch taub zugleich, die Augen geschlossen vor der unbekannten Welt, die nichts als Unheil versprach. In seiner Brust brannte ein Feuer, als hätten seine Lungen soeben zum allerersten Mal einen Atemzug getan. Doch ganz gleich, wie grauenhaft der Moment der Geburt auch gewesen sein mochte, nun verflüchtigte sich das Erlebte bereits. Die Erfahrung war zu umfassend, als dass sie sich in seinem Geist hätte festsetzen können. Zurück blieb die Ahnung, etwas ausgesetzt gewesen zu sein, das unendlich größer war als er selbst.
Die erste bewusste Regung, die David nach Nathanels Tod verspürte, war Wut. Eine unbändige Wut auf sein Schicksal, das ihm dieses verdammte Höllenwesen von einem Dämon aufgehalst hatte, der offensichtlich jedes Mal an Stärke gewann, wenn in ihm etwas zerbrach.Wut über das eigene Unvermögen, dieses Wesen zu verbannen oder wenigstens seine Macht zu brechen. Wut über die verlorene Bindung zu Menschen, die der Wolf ihm auf die eine oder andere Weise geraubt hatte. Seine Familie, Convinius, Meta und nun auch noch Nathanel, der ihm trotz seiner ständigen Distanziertheit so nahe gewesen war.
Mit einem Ruck öffnete David die Augen und richtete sich auf. Greller Schmerz durchfuhr seinen Körper, als wären ihm sämtliche Knochen gebrochen und wieder zusammengenagelt worden. Alles fühlte sich wund an. Gerade mal einen Atemzug lang hielt er sich aufrecht, dann überkam ihn eine Welle von Übelkeit. Er konnte sich gar nicht schnell genug zusammenkrümmen, da brach sie sich auch schon Bahn. Aber sein leerer Magen hatte nichts preiszugeben, und so würgte David bloß gequält.
Jemand fing an, ihm den Rücken zu tätscheln. Obwohl er ahnte, wer dort hinter ihm hockte und leidlich versuchte, Trost zu spenden, bemühte er sich, die Hand abzuschütteln. Allerdings fehlte ihm schlicht die Kraft dazu. Als der Würgereiz endlich nachließ, schaffte er es gerade einmal, nicht vornüberzusinken.
Nathanel war tot, und er war dafür verantwortlich. Dass sein Wolf von selbst angegriffen hatte, machte das Ganze nicht besser, sondern führte ihm nur deutlich vor Augen, was für ein Ungeheuer er in sich barg. Hatte Convinius also doch Recht behalten: Der Wolf war nicht mehr als eine Bestie, die auf ihre Chance zu töten lauerte. Der Zorn, den David über diesen Verrat empfand, legte sich wie ein dämpfendes Tuch über die Trauer. Was auch immer Nathanel für ihn bedeutet haben mochte, nun war nicht der richtige Zeitpunkt, sich damit auseinanderzusetzen.
Widerwillig dachte er darüber nach, dass der Wandel sich dieses Mal anders angefühlt hatte, so intensiv und grundlegend, dass er über einen längeren Zeitraum ohne Bewusstsein gewesen war. Nach Mathols Tod waren sein Wolf und er wie zerrissen gewesen, waren umhergeirrt, unfähig, mit der neuen Perspektive umzugehen. Doch jetzt - was Nathanels Tod auch freigesetzt hatte, es hatte den Dämon in David zu einem anderen Wesen gemacht. Die Verbindung zwischen ihnen beiden hatte zugenommen, und nur mit Not konnte er den Wolf davon abhalten, zu ihm durchzudringen. Was immer der Dämon ihm einflüstern wollte, er wollte es auf keinen Fall hören. Er würde diesem Mörder keine weitere Chance gewähren, so viel stand fest.
»Hör endlich auf, mir den Rücken zu tätscheln, oder mir kommt es wirklich noch hoch, Jannik.«
Augenblicklich hörte das rhythmische Klopfen
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