Wintermond
klarmachen, warum sie ein Bild kaufen sollen und wie viel sie dafür zu zahlen haben, oder man hat den richtigen Riecher für die Entwicklungen auf dem Kunstmarkt und darüber hinaus auch noch das Talent, die Künstler mit dem größten Potenzial an die Galerie zu binden.«
»Du meinst, bei mir reicht es gerade dazu aus, auf Rinzos Instinkt zu vertrauen und das Geld einzutreiben?« Obwohl sie wusste, dass es ein Fehler war, konnte Meta die Bitterkeit in ihrer Stimme nicht unterdrücken.
Allerdings schien Eve sich nicht daran zu stören. Sie zuckte mit den Schultern, und während sie ihr Handy aufklappte, sagte sie: »Du bist doch eine tolle Verkäuferin, sei stolz darauf. Und du organisiert großartige Vernissagen, das ist auch etwas, auf das du stolz sein kannst.«
In Metas Ohren klang das wie eine Beleidigung. Aber Eve war bereits in ein Telefonat versunken und wandelte davon, so dass Meta keine Gelegenheit fand, ihr die Meinung zu sagen. Allein gelassen, betrachtete sie die Bronzefigur, die Michelangelos David als obszöne Kopie zeigte: Nur an einer Körperstelle stimmten die Proportionen dieses ansonsten zu klein geratenen Kerls. Entweder hoffte Rinzo auf Kunden mit schrägem Humor oder auf solche, die das Thema der Skulptur nicht begriffen, weil die Darstellung äußerst grob gehalten war. Allerdings drängte sich Meta der Verdacht auf, dass der Künstler die Form derart reduziert hatte, weil er es nicht besser hinbekam.
Allein der Gedanke grenzte an Ketzerei, und automatisch hörte sie Rinzos geölte Stimme in ihrem Kopf: »Natürlich kann man sich darüber unterhalten, dass die Handwerkskunst wieder im Kommen ist, aber die Idee steht doch wohl immer noch im Zentrum. Und diese Idee ist genial: Wer hat beim Anblick des Davids noch nicht über die Größe seines besten Stückes nachgedacht?«
Meta hatte allerdings nur wenig Lust, diesen Disput zu führen. Der Name David kribbelte auf ihrer Zunge, und sie ertappte sich dabei, wie sie ihn leise aussprach. Glücklicherweise telefonierte Eve immer noch, so dass sie diesen Anfall von jugendlichen Gefühlswallungen nicht mitbekam. Trotzdem glühten Metas Wangen, und sie entschied sich zu einem Abstecher in den Waschraum, um zu überprüfen, ob wenigstens das Make-up noch in Ordnung war.
In dem von schwarzem Marmor gesäumten Spiegel blickte ihr ein erstaunlich mädchenhaftes Gesicht mit glänzend grünen Augen entgegen. Augen, die sich nach Abenteuern sehnten. Also so gar nicht das, was Meta für ihre Zukunft geplant hatte. Ohne dass sie etwas dagegen tun konnte, breitete sich Hitze in ihrem Körper aus. Sie schlüpfte aus ihren Pumps und genoss das Gefühl der Kälte, als die nackten Zehen den Marmorboden berührten. Sie musste sich dringend erden, so viel stand fest.
Hektisch wusch sie sich die Hände und ordnete anschließend das Haar zu einem perfekten Bob. Dann zupfte sie die Falten ihres Kleides zurecht. Ein Kontrollblick in den Spiegel bewies, dass die Dame aus der Galerie wiederhergestellt war: Alles saß tadellos, ihr Gesicht verriet nicht die geringste Erschütterung. Allerdings reichte ein flüchtiger Gedanke an David, wie er sich vor dem angelaufenen Spiegel rasiert hatte, und ihre Mundwinkel verzogen sich wie von Geisterhand zu einem Lächeln. Das war gar nicht gut.
Gerade als Meta die Privaträume verlassen wollte, schreckte Eves Stimme sie auf.
»Falscher Eingang, Herrgott nochmal!«
Meta spähte ins Foyer, in dem Eve gerade im Stechschritt auf einen Lieferanten zuhielt. Doch anders als seine Kollegen zog er nicht den Kopf zwischen den Schultern ein. Stattdessen ging er einfach weiter auf sie zu, so dass Eve in ihrer Rage fast in ihn hineingelaufen wäre. Er hielt einen in braunes, vom Regen durchnässtes Packpapier gewickelten Gegenstand in den Händen, der sehr nach einer gerahmten Leinwand aussah.
Einen Augenblick lang befürchtete Meta, dass es sich um einen ahnungslosen Künstler handelte, der seine Arbeit vorstellen wollte. Diese Sorte von Opfern liebte Eve fast noch mehr als Lieferanten.Vor lauter Verlegenheit blieb Meta stehen und war erleichtert, dass sie auf diese Entfernung kein Wort von der Unterhaltung verstehen konnte, die Eve und das Opferlamm führten.
Sie spielte mit dem Gedanken, lautlos die Treppe, die zu den oberen Ausstellungsräumen führte, hinaufzusteigen, als sie einen Blick auf das Gesicht des Mannes im Foyer erhaschte. Instinktiv trat sie einen Schritt zurück, um sich hinter der Tür in Sicherheit zu bringen. Da
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