Wintermond
zuzulaufen und sich an seine Seite zu drängen. Mathol dagegen huschte schnurstracks zu seinem Partner hinüber, der immer noch in der Hocke saß und vorgab, weiterhin zu dösen. Nathanel brauchte keine großen Gesten, um Respekt einzufordern.
»Freut mich zu sehen, dass ihr Kerle vor Tatendrang nur so strotzt«, sagte er, die Stimme heiser vor Spott. »Wir haben heute nämlich eine Fuhre mehr zu erledigen. Unser Freund Bremen hier hat einen neuen Geschäftspartner drüben beim Fluss aufgetan, den wir gleich zum ersten Mal beliefern werden. Darum hat es auch etwas länger gedauert als sonst. Wir mussten uns erst handelseinig werden. Eine Tour ins Grenzgebiet verdient schließlich eine Gefahrenzulage.«
»Halsabschneiderei«, sagte Bremen und kratzte sich das stoppelige Kinn. Dabei wirkte er nicht im Geringsten verärgert, vielmehr so, als nötige ihm Nathanels hartnäckige Verhandlungsweise Respekt ab.
Nathanel grinste schief, dann wandte er sich wieder seinen Leuten zu, deren Aufmerksamkeit ausschließlich auf ihn gerichtet war. »Wir werden uns aufteilen: Mathol und Leug übernehmen die beiden bekannten Touren, Jannik und ich den Trip zum Fluss, damit ich mir den neuen Kollegen mal genau anschauen kann. David bringt den Bonus ins Palais.«
»Warum macht Jannik nicht die Sache mit dem Bonus und ich begleite dich zum Fluss?« David gab sich möglichst gleichgültig, dennoch konnte er es nicht unterlassen, wieder aufzublicken.
»Weil ich nicht will, dass sich der Bonus auf dem Weg zum Palais selbstständig macht«, erklärte Nathanel mit einem Achselzucken, Janniks nervöses Gezappel an seiner Seite ignorierend. »Außerdem gibst du doch so gern den einsamen Wolf. Also los jetzt.«
Bremen führte sie in einen schwach beleuchteten Gang, der in die Kellerräume unter dem Büroturm der Lagerhalle führte. Während Nathanel und Bremen voranschritten, hatte David darauf geachtet, das Schlusslicht zu bilden. Mit einigen Stößen trieb er den vor ihm gehenden Jannik an, der sich immer wieder mit einem fragenden Blick umdrehen wollte. Einmal wandte sich auch Mathol um und zeigte eine abstoßende Fratze, indem er sein beeindruckendes Gebiss entblößte. David ließ die Drohung regungslos an sich abprallen. Nach dem, was gerade passiert war, würde er um ein Kräftemessen mit diesem versessenen Dreckskerl ohnehin nicht herumkommen. Das Wissen, dass er dabei zwangsläufig unterliegen musste, wenn er an seinem Plan festhielt, kratzte allerdings an seinem Stolz. Und einen Augenblick lang war David sich nicht sicher, ob es sich um seinen eigenen Stolz oder den seines Wolfes handelte.
Mit einigem Gefluche öffnete Bremen das widerspenstige Sicherheitsschloss einer Feuerschutztür und ließ sie in einen Raum eintreten. Die Decke war so niedrig, dass David den Kopf einziehen musste. Die Gerüche und Eindrücke, die ihm entgegenschlugen, sorgten dafür, dass er unwillentlich einen Schritt zurücktrat. Zigarettenrauch, verschwitzte Leiber,Angst und gelangweiltes Ausharren. Aber darunter lag noch etwas anderes, etwas, das er nicht so leicht zuordnen konnte: Wunden, die noch nicht ganz verheilt waren, Drogen und eine mit Gewalt und Drohungen erzwungene Gefügigkeit.
Wie kann sich Hagen nur die Finger am Menschenhandel schmutzig machen?, dachte David. Dabei wusste er genau, warum ihr Anführer sich darauf eingelassen hatte und seine Leute mit in diesen Sumpf zog.Wie auf ein Zeichen hin breitete sich in Davids Brust eine elektrisierte Anspannung aus: Der Jagdinstinkt des Wolfes war angesichts dieser Beute geweckt, und es kostete David viel Kraft, ihn zu ignorieren.
In dem Raum saßen elf Frauen auf Holzbänken, einige drückten beim Eintreten der Männer hastig ihre Zigaretten in den überquellenden Aschenbechern aus, andere zuckten nicht einmal zusammen. Dunkle Haare, helle Haare, alles war vertreten, nur eine Gemeinsamkeit konnte David auf die Schnelle ausmachen: Die Frauen waren alle sehr jung.Auf den zweiten Blick bemerkte er, dass es sich zumindest bei einer der geduckt dasitzenden Gestalten um einen jungen Mann mit außergewöhnlich zarten Gesichtszügen handelte. Eigentlich hatte es David gar nicht so genau wissen wollen.
»Gut«, sagte Nathanel, dem das wortlose Starren der Eingepferchten nichts auszumachen schien. »Mathol und Leug nehmen ihren Teil der Ladung gleich auf einen Schlag mit, Freund Bremen will nämlich Feierabend machen.«
Bremen nickte beflissen und bekam bei dem Gedanken an die vor ihm liegenden
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