Wintermond
Hagen ihn lächelnd an, den Beweis seiner Macht genießend. Ganz gleich, wie stark der Dämon in David sein mochte, Hagen war ihm dennoch überlegen.
»Jagdzeit«, flüsterte Hagen, nachdem er seinen Triumph über den jüngeren Mann ausreichend ausgekostet hatte. Dann stürzte er sich auf die wehrlose Frau.
David stand da, gefangen von Hagens Autorität, unfähig, sich zu rühren. Auch sein Wolf war erstarrt, fast, als hätte ihm Hagens Machtbeweis jeden Lebensfunken geraubt. Nur ein leises Wimmern war zu hören. Erst als das Schreien der Frau verebbt war und sich Jannik ihm schreckensbleich näherte, löste sich der Bann. Jannik hielt ihm seine zerschlissene Jacke hin, und er nahm sie ohne ein Wort entgegen. Der Junge sah ihn flehend an. Obgleich David die Angst, die Jannik quälte, geradezu auf seiner Zunge schmecken konnte, wandte er sich ab und ging.
Kurz schaute er zu Hagen hinüber, der Amelia und einige andere in geduckter Haltung dabei beobachtete, wie sie die beiden geschlagenen Opfer ausschlachteten. Nathanel dagegen stand immer noch an die Wand gelehnt, als habe er sich in der ganzen Zeit nicht ein Mal gerührt. Gegen seinen Willen tastete David nach ihm. Da war nichts, zumindest nichts, was Nathanel ihn spüren lassen wollte.Verräter, dachte David und verspürte einen qualvollen Stich.
Er hatte das Palais schon eine Weile hinter sich gelassen, als ihn der Ruf seines Anführers erreichte. Hagen war endlich bewusst geworden, dass der gerade erst gestärkte Wolf seines Rudels das Fest ohne Erlaubnis verlassen hatte. Während Hagens Forderung, sofort umzukehren, in seiner Dringlichkeit immer massiver wurde, ging David in einen leichten Lauf über. Er würde nicht zurückkehren, ganz gleich, was es ihn kostete.
Kapitel 16
Besuch
Die Tage waren merklich kürzer geworden, und wenn eine Wolkendecke - wie jetzt am frühen Abend - den Himmel verdunkelte, kam es einem so vor, als wäre es bereits tiefste Nacht. Nun, vielleicht nicht ganz so finster, denn das allgegenwärtige Kunstlicht hüllte die ganze Stadt in einen gelblichen Kokon. Und trotzdem, dachte Meta, wirkte es bedrohlich. Sie hatte das Küchenfenster einen Spaltbreit geöffnet, so dass die Herbstluft durch den dünnen Stoff ihrer Tunika drang und ihre Unterarme streifte. Sie konnte froh sein, heute keinen Fuß mehr vor die Tür setzen zu müssen.
Das Echo von Eves gekünsteltem Lachen riss sie aus ihren Gedanken, und sie machte sich eilig daran, das Fenster wieder zu schließen. Als sie sich dem Tablett zuwandte, das sie bereits mit verschiedenen Dip-Schalen und Crackern beladen hatte, bemerkte sie Karl, der im Türrahmen lehnte und sie ungeniert beobachtete.
»Du siehst heute Abend sehr schön aus«, erklärte er mit einer ernsten Miene, als handele es sich nicht einfach um ein Kompliment, sondern um ein Geständnis mit weitreichenden Folgen.
Im letzten Moment gelang es Meta, ein liebliches Lächeln zu unterdrücken, das sich bei einem derartigen Kompliment automatisch auf ihre Lippen schleichen wollte. Es erschien ihr beinahe so, als wäre ihr Körper der Auffassung, dass man als Frau in einer solchen Situation zart zu erröten und mit den Augen zu plinkern habe. In Wirklichkeit jedoch störte sie der begehrliche Blick, mit dem Karl sie unverwandt anschaute.
»Vielen Dank«, sagte sie steif und widmete sich wieder ihren Schalen, deren Anordnung noch lange nicht perfekt war.
Vor nicht allzu langer Zeit hatte sie jeden Morgen vor dem Spiegel gestanden und überlegt, was sie bloß anziehen könnte, um von ihm mit solcher Aufmerksamkeit bedacht zu werden. An diesem Abend hatte sie hingegen, kurz bevor die Gäste eingetrudelt waren, das Outfit aus der Galerie gegen eine bestickte Tunika eingetauscht, die eigentlich etwas zu knapp war. Und weil ihr für eine richtige Frisur schlicht die Zeit gefehlt hatte, hatte sie die Haare mit Kämmen hochgesteckt. Schließlich hatte sie, sobald sie der Galerie den Rücken kehren konnte, das Dinner ganz allein vorbereitet, da Karls Beitrag lediglich darin bestanden hatte, die Gäste einzuladen. Mit einem opulenten Rosenstrauß und der Klage, wie furchtbar viel Arbeit in den letzten Tagen angefallen war, war er deutlich zu spät eingetroffen. Meta war das mehr als recht gewesen, denn zum einen verspürte sie trotz ihres Versprechens, sich einander freundschaftlich anzunähern, eine gewisse Unlust, sich in Karls Nähe aufzuhalten. Zum anderen war sie durch die vielen Aufgaben für diesen Abend davon
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