Wintermond
eifrig nickend dasaß. Doch neben dem funkensprühenden Charme und unruhigen Geist, der von einer Idee zur nächsten sprang, besaß Rinzo auch klares Kalkül. Nach außen hin ließ er sich zwar als Kunstnarr feiern, aber Meta wusste nur allzu gut, dass es bei jedem Lob und jeder noch so unschuldig wirkenden Anspielung einen Hintergedanken gab. Rinzo war einfach ein großer Zirkusdirektor und hatte das Volk der Kunstliebhaber und solche, die Geld dafür ausgaben, fest im Griff.
Inzwischen fächelte sich Rinzo mit einem pistazienfarbenen Taschentuch Luft zu. Nach dem gesetzten Essen, das Meta bei einem französischen Restaurant um die Ecke bestellt hatte - Selbstgekochtes wäre eher ungnädig aufgenommen worden -, hatte man sich plaudernd ins Wohnzimmer zurückgezogen. Eine auf den ersten Blick bunt gemischte Gruppe mit unterschiedlichen Kleidungsstilen und Körperhaltungen. Da war der im Maßanzug steckende Rechtsanwalt Asam, der mit gelöster Krawatte auf dem Sofa lümmelte und mit seinem gerade geerbten Porzellan aus dem letzten Jahrhundert angab. Neben ihm seine Ehefrau Marie, die sich über hysterisch ehrgeizige Eltern im Kindergarten ihrer Tochter lustig machte, dabei jedoch den Anschein erweckte, als beschriebe sie sich selbst. Sue, ein in gelbe Seide gewickelter Kanarienvogel, der wieder einmal nur am Essen gepickt hatte, bis Meta vor lauter schlechtem Gewissen ihren eigenen Teller ignoriert hatte. Der Gedanke an ihre in den letzten Wochen unleugbar runder gewordenen Hüften setzte ihr ohnehin zu. Sie verbrachte eindeutig zu viel Zeit mit der stets von Leckereien umgebenen Rahel. Und dann war da noch Emma, die mit ihrer Jugendlichkeit und dem übergroßen Vintage-Kleid wie ein Fremdkörper in dieser Runde wirkte.
Doch der erste Eindruck täuschte: Die Menschen in Metas stilvoll eingerichtetem Wohnzimmer verband unendlich viel mehr miteinander, als sie trennte. Ähnliche Familien- und Bildungshintergründe, miteinander verwobene Freundeskreise, Vorlieben für dieselben Feriendomizile und Stadtviertel. Wahrscheinlich würden sie sogar ihren Kindern den gleichen Vornamen geben und trotzdem glauben, einen besonders individuellen Treffer gelandet zu haben. Schließlich waren sie allesamt peinlich darauf bedacht, ihre sorgsam inszenierte Einzigartigkeit bei jeder sich bietenden Gelegenheit herauszustellen.
Einen verführerischen Augenblick lang gab Meta sich der Vorstellung hin, wie sie einen versteckten Hebel drückte, sich eine Luke im Boden auftat und das eifrig plappernde Volk kurzerhand darin verschwand. Dann könnte sie sich aufs Sofa fallen lassen und hemmungslos die Avocadocreme genießen. In dieser Vision fehlte nur noch jemand, der ihr den Rücken streichelte und einen wunderbar männlichen Duft verströmte.
Bevor Meta das Bild weiter ausmalen konnte, streifte Karls Ellbogen sie - er trug zwei geöffnete Champagner-Flaschen in den Händen und würdigte sie im Vorbeigehen keines Blickes. Meta rollte mit den Augen, dann folgte sie ihm.
Emma, die gegen die Wand gelehnt dastand und eine Zigarette rauchte, bedachte sie mit einem verschmitzten Lächeln. »Na, Meta, was machst du denn für ein Gesicht? War die Cracker-Marke falsch oder Karl zu schnell fertig?«
Weil sie schon so gut in Schwung war, lachte Eve am lautesten über die schlüpfrige Anspielung, während sie Metas Gesicht nach verräterischen Anzeichen abscannte, ob an Emmas Worten vielleicht etwas dran war. Nun, dachte sich Meta, die höflich lächelnd das Tablett auf einem der Beistelltische absetzte, was es braucht, um Eve erträglicher zu machen, ist kein Champagner, sondern ein kräftiger Schlag mit der Flasche gegen den Hinterkopf.
»Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass es dir eine perverse Form von Befriedigung verleiht, mich zu blamieren, Emma. Hat das irgendetwas mit einem Kleine-Schwester-Komplex zu tun? Du bist doch sonst immer so ein cooles Mädchen.« Mit diesen Worten schnappte Meta sich eine Handvoll Erdnüsse und setzte sich auf einen Fußschemel, den freien Platz neben Karl ignorierend.
Einen Augenblick lang herrschte angespanntes Schweigen - die Retourkutsche war anscheinend etwas zu persönlich ausgefallen. Außerdem passte sie wenig zu der für gewöhnlich so beherrschten Meta. Aber Emma schien sich nichts daraus zu machen. Sie ertränkte die aufgerauchte Zigarette in einem halbvollen Weinglas und setzte sich neben Karl, wobei ihr der Ausschnitt ihres Kleides gefährlich weit über die Schulter rutschte. »Lieber
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