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Wintermond

Wintermond

Titel: Wintermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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fragte er überschwänglich. Es war allerdings auch der Hauch von Hoffnung herauszuhören, dass der junge Mann sich als etwas viel Delikateres herausstellen könnte.
    »Hungrig?« Jovial legte er David eine Hand auf die Schulter, der ihn aus den Augenwinkeln ansah. Rinzo zog die Hand mit einer Schnelligkeit zurück, als habe ihn etwas gebissen. Auf seinen Gesichtszügen spiegelte sich plötzlich ungewohntes Unbehagen, und er trat einen Schritt zurück.
    »David, bist du überfallen worden?« Die eigene Stimme klang hohl in Metas Ohren. Sie wünschte sich inniglich, alle anderen würden sich einfach erheben und kommentarlos ihre Wohnung verlassen. Nur würde ihr niemand diesen Gefallen tun. Dieser zerschlagene junge Mann hatte mit seinem Auftritt gerade den Abend gerettet, und wenn es richtig gut lief, würde man noch Wochen später ein aufregendes Gesprächsthema haben.
    David presste kurz die Augen zusammen, als versuche er, sich zu konzentrieren und eine Antwort abzuwägen.Aber sein erschöpfter, leerer Blick sagte Meta, dass er keine beruhigende Ausrede vorbringen konnte. Überrascht stellte sie fest, dass sie  genau darauf gehofft hatte. »Nicht direkt ein Überfall, aber etwas in der Art. Ich sollte die nächste Zeit besser nicht mehr in meiner Wohnung vorbeischauen. Ehrlich gesagt, werde ich das ganze verdammte Viertel meiden.«
    Obwohl David - wie es seiner Art entsprach - leise gesprochen hatte, hatte Karl auf dem Weg zu ihnen offensichtlich alles verstanden. »Wenn Sie überfallen worden sind, sollten Sie eiligst die Polizei aufsuchen.« Karl hielt sich unnatürlich gerade, als wolle er mit dem jüngeren Mann vor sich auf einer Augenhöhe sein. Doch obgleich David sichtlich in sich zusammengesunken dastand, überragte er Karl gut um einen halben Kopf. Karl hätte in Davids Schatten verschwinden können. Vermutlich verstärkte diese Unterlegenheit auch seine Abneigung gegenüber dem unerwarteten Besuch, denn als er weitersprach, war seine Stimme eine Tonlage tiefer. »Außerdem - wenn Sie sich immer noch in Gefahr glauben, ist es keine besonders gute Idee, hier bei Meta aufzutauchen. Nicht, dass wer auch immer sich mit Ihnen angelegt hat, plötzlich vor ihrer Tür steht.«
    Einen Moment lang musterte David Karl mit wenig Interesse, und als er sprach, sah es so aus, als koste es ihn einiges an Überwindung, dem sichtlich aufgebrachten Mann überhaupt eine Antwort zu geben. »Das wird kaum passieren. Metas Wohnung liegt außerhalb ihres Reviers.«
    Karl legte die Stirn in Falten und versuchte sich an einem abfälligen Lachen, das jedoch nur seine Verunsicherung verriet. »Revier? So ein paranoider Blödsinn. Haben Sie heute Morgen vielleicht vergessen, Ihre Medikamente einzunehmen?«
    Rinzo, der sich erstaunlich lange zurückgehalten hatte, mischte sich wieder in die Unterhaltung ein. Allerdings hielt ihn die Wirkung von Davids Blick weiterhin auf Abstand. »Revier - das ist so eine Art Gangslang, nicht wahr? Wusste gar  nicht, dass wir Gangs in unserer Stadt haben. Vielleicht im Untergrund. Mögen Sie Graffiti?«
    Da die Situation langsam ins Obskure abzugleiten drohte, riss sich Meta aus der Gebanntheit, mit der sie auf Davids unerklärliche Anziehungskraft reagierte. Zwar stand David im Moment noch wie betäubt da - selbst der Salonblödsinn, den Rinzo vor lauter Nervosität von sich gab, schien nicht zu ihm durchzudringen. Aber sie befürchtete, er könne sich unvermittelt umdrehen und gehen, wenn sie ihm nicht rasch einen Grund zum Bleiben anbot. Will ich denn überhaupt, dass er bleibt?, fragte sie sich dann und zögerte. Da hob David eine Hand hoch, um sich über den Nacken zu streifen, und Meta vergaß angesichts dieser Geste sämtliche Zweifel. Die Art, wie er sich bewegte - verhalten, aber mit einer unbewussten Anmut -, sorgte dafür, dass sich ihre Lippen von selbst bewegten: »Zieh doch deine Jacke aus und setz dich zu uns.«
    Einen grausamen Augenblick lang reagierte David nicht auf ihre Worte. Sie befürchtete schon, zu spät gesprochen zu haben, da öffnete er den Reißverschluss der Kapuzenjacke und streifte sie sich von den Schultern. In diesem Moment bereute Meta bereits ihre Aufforderung. Das hellgraue T-Shirt, das zum Vorschein kam, war nicht nur zerknittert, sondern wies unzählige braune Stellen auf. Einige fein wie Funkenregen, andere großflächig. Der gesamte Saum war verfärbt und stand steif ab. Etwas Zähes war in den Stoff eingedrungen und hatte ihn hart werden lassen. Metas

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