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Wintermond

Wintermond

Titel: Wintermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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Einen Augenblick lang sah David sie an, als wolle er Einspruch erheben, aber dann küsste er sie. Erst zärtlich, fast ein wenig neckend, aber schon bald so eindringlich, dass Meta keine Gelegenheit mehr fand, ihn weiter zu piesacken. Stattdessen fuhren ihre Finger über die warme Haut seines Rückens, und sie spürte einen Anflug von Erleichterung. Das Gespräch war vertagt, sie musste weder Fragen stellen noch Entscheidungen treffen.
     Die Zahnbürste achtlos im Mund auf und ab bewegend, lauschte Meta auf den Radau, den David in der Küche veranstaltete. Als sie gestern Abend endlich voneinander abgelassen hatten, war es Meta gerade noch gelungen, einige Löffel von den Bratkartoffeln zu essen, die David zubereitet hatte, dann hatte sie sich zurück in die Kissen gelegt und war eingeschlafen.
    Die Aufregung der letzten Tage und der versäumte Schlaf fordern ihren Tribut, hatte Meta sich beim Aufwachen gesagt. Doch irgendwie ließ sich das schale Gefühl nicht verdrängen, dass sie einfach nur versucht hatte, David aus dem Weg zu gehen. Das war natürlich Unsinn, denn näher, als sie ihm letzte Nacht gekommen war, ging es wohl kaum.
    Unwillkürlich überkam sie die Erinnerung: David liegt auf ihr, stemmt sich dann ein Stück in die Höhe und sieht sie mit einem prüfenden, leicht abweisenden Blick an. Etwas geht ihm durch den Kopf, das ihm nicht gefällt, und er sucht in Metas Gesicht nach einer Antwort. Sie stört die Distanz, schlingt die Arme um seinen Nacken, zieht ihn zu sich hinab. Er ist widerwillig, verspannt.Als sich die Lücke zwischen ihren beiden Körpern schließt, grummelt er leise. Ihre Haut trifft aufeinander, wärmt sie beide. Vorsichtig fährt sie mit ihren Lippen über seine Wange, leckt über seinen Mundwinkel, während sie ihre Hüften fordernd bewegt. Sie tut alles, damit er sich nicht noch einmal von ihr löst und sie nachdenklich mustert. Er soll sich im Jetzt verlieren, sich genauso gedankenlos der Leidenschaft hingeben, wie sie es tut. Alles andere macht ihr schreckliche Angst. Augenblicklich presst sie ihren Mund auf seinen, ein wenig grob, doch er beschwert sich nicht. Sie spürt im Kuss, wie er endlich die Augen schließt und sich ihr hingibt. Sie winkelt das eine Bein an, streichelt mit der Ferse über seine Oberschenkel. Aber all das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich eine Leere in ihr ausbreitet, die David so nicht zu füllen vermag.
    Dieser Leere musste sie sich stellen, das war ihr nun klar.
    Meta drehte den Hahn auf, führte die Hand unters kalte Wasser und wusch sich langsam das Gesicht. Als sie sich wieder aufrichtete, strich sie sich mit den noch nassen Handflächen die Haare nach hinten, griff nach einem Band und fasste es im Nacken zusammen. Regungslos betrachtete sie ihr Gesicht, die ersten feinen Vertiefungen um die Augen herum und die senkrechte Linie über der Wurzel der rechten Braue, die jedes Mal verrutschte, wenn sie sich über etwas ärgerte. Die Schatten unter den Augen, die sie jeden Morgen schon fast mechanisch mit einem Concealer abdeckte, die von Natur aus blass rosafarbenen Lippen und das ovale Muttermal auf der Wange, das auch Emma zierte.
    Seit wie vielen Jahren sah sie sich schon an, ohne wirklich bei sich zu sein? Diese trügerische Zufriedenheit, in der sie bislang gelebt hatte, wann hatte die eingesetzt? Wann war jener Zeitpunkt gewesen, den die junge begeisterungsfähige Frau verpasst hatte, an dem sie den nächsten Schritt hätte gehen müssen? Als sie ihre eigenen Gedanken der verführerischen Selbstsicherheit Rinzos unterworfen hatte? Als sie Karl zum ersten Mal das Recht eingestanden hatte, ihr eine Persönlichkeit anzudichten, die sie immer weiter von sich selbst entfernte? Sie war freiwillig zurückgetreten, anstatt ihren Lebensweg zu gehen, das war ihr schon seit längerem bewusst. Dabei war ihr die schillernde, betörend lebendig scheinende Welt der Kunst noch vor einigen Jahren, als sie mit Rinzo die Galerie aufgebaut hatte, wie ein Paradies vorgekommen. Niemals hatte sie damit gerechnet, diesem Lebensstil zu entwachsen. All die schicken Bekannten, die aufregenden Orte und die mitreißenden Themen, um die es immerzu ging. Als sich die ersten Risse in der perfekt geglaubten Welt auftaten, hatte sie sie voller Schrecken zu verbergen versucht. Doch mit jedem Jahr, mit jedem Monat, den sie genauer hingesehen hatte, war der Drang, einen Schritt weiterzugehen, stärker geworden.  Trotzdem hatte sie diesen Schritt lange Zeit nicht getan -

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