Wintermond
dabei hatte sie sich immer für eine starke Persönlichkeit gehalten. Meta wandte den Blick von ihrem grübelnden Spiegelbild ab.
Die Küche war verlassen, nur die Kaffeemaschine arbeitete. Aus dem Wohnzimmer drangen die Klänge der Instrumentalversion eines alten Morcheeba-Albums herüber. Mit zwei Tassen in der Hand schlenderte sie schließlich zu David, der bäuchlings auf dem Sofa lag und in einem Bildband über eine Impressionisten-Ausstellung blätterte. Als er sie bemerkte, schenkte er ihr ein Lächeln, das überraschend schüchtern ausfiel. Meta zog einen Hocker heran und reichte ihm eine der Tassen.
»Na, irgendetwas Inspirierendes gefunden?«
David trank einen Schluck, dann stellte er die Tasse neben dem Sofa auf dem Boden ab. Seine Finger spielten mit den Seiten des Katalogs, als könne er sich noch immer nicht davon lösen. »Diese Bilder … Die sind schon nicht verkehrt, aber die Idee, einfach Eindrücke aus dem eigenen Lebensalltag zu nehmen, gefällt mir nicht besonders.«
Trotzdem hing sein Blick auffällig lange an einer von der Sonne beschienenen Angelszene fest, so dass Meta Gelegenheit fand, über seine Worte nachzudenken. Zuerst hatte sie einfach eine geübte Replik geben wollen, in der sie auf den Meilenschritt eingegangen wäre, den der Impressionismus für die Malerei bedeutet hat. Dann gestand sie sich ein, dass es hier keineswegs um Geplauder ging. David versuchte, etwas über sich selbst zu sagen. Also schwieg sie.
»Das mag natürlich an meinem Leben liegen, dass mir diese Impressionistenkiste nicht richtig gefällt«, fügte David schließlich an und bestätigte damit Metas Gedanken. »Früher habe ich Bilder gemalt, die das Gegenteil von dem Chaos abbilden sollten, in dem ich lebte. Das Ergebnis kennst du ja.« Mit dem Kinn deutete er in Richtung Schlafzimmer. »Eine Zeit lang hat das ganz gut funktioniert, aber wenn ich nicht richtig aufgepasst habe, sind aus meinen fein säuberlich strukturierten Bildern schnell Skizzen von einem verwaisten Stadtteil geworden.« Obwohl er sich ihr wieder zugewandt hatte, ging sein Blick an ihr vorbei. Sie konnte ihm ansehen, wie sich die Erinnerung vor seinem inneren Auge aufbaute, wie sehr sie ihm zu schaffen machte. »Wie in einem Alptraum, in dem man durch verwaiste Plattenbauten läuft, bei denen die Wände und Treppen eingestürzt sind, riesige Löcher im Boden, Staub und Kabel. Und im Keller ist eine Grube eingelassen - eine Kampfarena. Das wäre doch einmal ein Thema für ein hübsches Bild, was?«
David presste hart die Lippen aufeinander, dann sah er Meta an und gab ein verstörtes Lachen von sich.
Ohne darüber nachzudenken, setzte sich Meta neben ihn auf das Sofa. Zärtlich streichelte sie seine Schulter, fuhr mit den Fingerspitzen über die kleine Kuhle hinter seinem Ohr, wo die Haut sich samtig anfühlte. Dann wanderten ihre Finger weiter zum Nacken und bis zum Haar, das trotz seiner Kürze unvermutet weich war. Die ganze Zeit über saß David zwar reglos da, aber Meta spürte, wie sich etwas in ihm entspannte und er ihre Zärtlichkeiten genoss, auch wenn er ihr dabei anscheinend nicht völlig über den Weg traute. Er befürchtet, dass ich ihn ein weiteres Mal in mein Bett locken will, um mich vor einer Entscheidung zu drücken, dachte Meta.Vermutlich würde er sich sogar darauf einlassen.
Doch in diesem Moment akzeptierte Meta, dass sie sich zu David hingezogen fühlte und dieses erste vorsichtige Band, das sie in den letzten Tagen miteinander geknüpft hatten, weit über die gemeinsamen Nächte hinausging. Unwillkürlich dachte sie an jene letzte Sommernacht des Jahres, als sie David im größten Gedränge gefunden hatte. Gefunden, dachte sie überrascht. Nicht zufällig auf ihn gestoßen. Ohne zu begreifen warum, vertraute sie dem Instinkt, der ihr sagte, dass David zu ihr gehörte.
Meta gab ihm einen leichten Kuss auf die Wange, dann sagte sie: »Ich möchte, dass du bei mir bleibst. Unabhängig davon, ob du in deine Wohnung zurückkehren kannst oder nicht.« David warf ihr einen verblüfften Blick zu, der Meta schmunzeln ließ. »Ja, ich weiß. Das ist ein seltsames Angebot, nachdem wir uns kaum kennen und ich keine Ahnung habe, was dir Schlimmes zugestoßen ist.Aber ganz gleich, wie unser beider Leben bislang ausgesehen hat, ich habe das Gefühl, dass sich uns nun die Chance bietet, etwas Neues zu beginnen. Gemeinsam.«
Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, rechnete Meta damit, David würde ein Stück von ihr
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