Wintermord
offen.«
»Karlberg meinte, er wollte vielleicht die Post holen«, warf Gonzales ein, »er lag nämlich nur ein paar Meter vor den Briefkästen. Oder er könnte einen Wildunfall gehabt haben, am Kühler fanden sich bräunliche Spuren, vielleicht Blut. Wenn es ein Tier war, dauert es sicher nicht lange, bis man es findet.«
Das Geräusch von Karin Beckmans Absätzen hallte über den Flur, kurz bevor sie den Kopf hereinstreckte. So wild, wie ihr die Haare zu Berge standen, lag die Vermutung nahe, dass sie wie Tell den Tag zur Nacht gemacht hatte und mit der grässlichen Neuigkeit geweckt worden war.
Karin Beckman ließ sich neben Gonzales auf einen Stuhl fallen und warf Tell einen Blick zu, der verriet, dass sie die neueste Entwicklung auch noch nicht richtig fassen konnte.
Tell rutschte ungeduldig bis zur vordersten Stuhlkante. »Er ist erstochen worden, hast du gesagt. Damit hätten wir also eine völlig neue Vorgehensweise. Mir will einfach nicht in den Kopf, dass ...«
»Es ist ein anderer Mörder«, verkündete Bärneflod, und Tell musste kurz die Augen schließen, bevor er antwortete. »Ja, Bärneflod. Mir ist durchaus bewusst, dass Sebastian Granith nicht gleichzeitig im Gefängnis sitzen und Sven Molin ermorden konnte.Trotzdem wäre es doch ein seltsamer Zufall, wenn Sven Molin nun von einem völlig Fremden ermordet worden wäre, der überhaupt keine Verbindung zu Sebastian Granith hat.«
»Bei einer Ermittlung sollte man niemals nie sagen, bevor man dafür Beweise hat«, gab Bärneflod hochmütig zurück.
Na, damit hättest du den intelligenten Kommentar des Tages also auch angebracht, dachte Tell.
Dann rang er sich zu einer neuen Hypothese durch. »Ohne irgendetwas als selbstverständlich vorauszusetzen, müssen wir trotzdem davon ausgehen, dass auch dieser dritte Mord mit My Granith zu tun hat, Sebastian Graniths Schwester, die damals vermutlich von Thomas Edell, Olof Bart und Sven Molin überfallen wurde. Es muss sich also um eine Person handeln, die mit dem Verhafteten zusammenarbeitet ...«
»Jemand, der My auch nahestand«, schlug Karin Beckman vor.
Tell nickte. »Oder der Sebastian nahe genug steht, um sich seinem wahnwitzigen Rachefeldzug anzuschließen. Außerdem gibt es noch eine Alternative, die wir auch in Betracht ziehen müssen, nämlich dass Sebastian Granith zwei Verbrechen gestanden hat, die er nicht begangen hat, zum Beispiel um jemand anders zu schützen.«
»Wer hat Molin eigentlich gefunden?«, wollte Karin Beckman wissen.
»Ein Nachbar«, antwortete Bärneflod.
»Ist der schon vernommen worden?«
»Ja. Die örtliche Polizei befragt gerade sämtliche Nachbarn. Nicht, dass es in dieser Einöde allzu viele davon gäbe. Aber immerhin glaubt einer, einen Schuss gehört zu haben.«
»Einen Schuss?«, wiederholte Karin Beckman. »Jetzt kapier ich langsam gar nichts mehr.«
»Molins Gewehr lag neben ihm auf dem Boden. Vielleicht hat er gemerkt, dass er in der Falle saß, und hat auf den Mörder geschossen, ihn aber verfehlt. Was weiß ich.«
Tell merkte, dass sein Gehirn sich langsam aus dem wattierten Griff des Alkohols befreite. »Es dürfte reichen, wenn du zu Karlberg fährst, Karin. Ich setze mich noch mal mit Sebastian Granith zusammen und sehe zu, was ich aus ihm rauskriege. Die anderen machen mit den Nachforschungen zu My Granith da weiter, wo sie gestern aufgehört haben. Die polizeiliche Ermittlung zu dem Vorfall wurde 1995 durchgeführt, dort fangt ihr an und arbeitet euch dann langsam zurück. Wahrscheinlich wäre es ganz sinnvoll, mit dem Rest der Familie zu beginnen.«
Er schwieg einen Augenblick. »Hat übrigens schon einer von euch mit Ann-Christine Östergren gesprochen?«
Bärneflod sah ihn aufrichtig erstaunt an. »Ist das nicht deine Aufgabe? Deswegen hast du doch auch mehr in der Lohntüte, oder?«
Tell stand auf und schubste Bärneflod auf dem Weg nach draußen beiseite. »Mach dich an die Arbeit und quatsch nicht so blöd.«
Die Tür zu Ann-Christine Östergrens Büro war verschlossen. Er beschloss, noch ein wenig zu warten, bevor er sie anrief.
Eine knappe halbe Stunde später stand er vor Bärneflods Zimmer und klopfte an den Türrahmen. »Ich hab Gonzales damit beauftragt, ein paar Spuren zu verfolgen, und dachte mir, wir zwei fahren jetzt mal zu Mutter Granith. So eine gibt es nämlich.«
»Also nach Borås.«
»Genau, nach Borås.«
»Kann Björkman das nicht machen?«
»Nein, verdammt. Komm schon.«
Kaum waren sie an Landvetter vorbei,
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