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Wintermord

Wintermord

Titel: Wintermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Ceder
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ging zwei Schritte auf Bärneflod zu und streckte kriegerisch das Kinn vor. Er war so überrumpelt, dass er vor Schreck eine Porzellanfigur auf den Boden fegte. Eine Scherbe landete vor Frau Graniths Füßen.
    Umständlich ging sie in die Hocke und legte sie sich auf die Handfläche. Einen Moment glaubte Bärneflod, dass sie weinte, und räusperte sich verlegen.
    »Ich kann mich nicht erinnern«, flüsterte sie und sammelte die restlichen Scherben auf.
    »Aber Sie können sich doch sicher noch erinnern, was Sie gestern Abend gemacht haben«, fuhr Tell stur fort.
    Er musste seine Frage noch einmal wiederholen, bevor Frau Granith antwortete.
    »Ich war wohl hier. Ich bin immer hier.«
    »Gibt es jemand, der das bezeugen könnte?«
    »Nein.«
    Tell spürte einen Luftzug am Hals, als wäre in einem angrenzenden Zimmer ein Fenster oder eine Balkontür geöffnet worden. Jetzt war er sicher, dass sich jemand in der Nähe aufhielt und lauschte. Er bedeutete Bärneflod mit einer Geste, dass sie gleich die Wohnung durchsuchen würden.
    Als Frau Granith sich aus ihrer gekrümmten Stellung erhob, beschloss Tell, die Karten auf den Tisch zu legen. »Ich behaupte, dass Olof Bart und Lars Waltz, der irrtümlich für Thomas Edell gehalten wurde, ermordet wurden, weil sie mit dem Überfall auf Ihre Tochter vor zwölf Jahren zu tun hatten. Das hat Ihr Sohn als Grund für die Morde angegeben. Im Laufe der letzten Nacht wurde der dritte Mann, Sven Molin, ebenfalls ermordet. Das Problem ist nur, dass Ihr Sohn zu diesem Zeitpunkt schon in Haft war.«
    »Inwiefern ist das ein Problem für mich? Oder für Sie?«
    Solveig Granith wirkte so geistesabwesend, als würde sie nur zu sich selbst reden.
    »Es ist ein Problem, weil wir es keineswegs für einen Zufall halten, dass jetzt auch noch Molin, der dritte Täter der bewussten Nacht, ermordet worden ist. Und da sich Ihr Sohn in Haft befindet, muss jemand an seiner Stelle gehandelt haben, jemand, der vielleicht auch starke Gefühle für My gehegt hat. Ich sage nicht, dass Sie es sind. Ich frage nur, ob jemand bestätigen kann, dass Sie gestern Abend und gestern Nacht zu Hause gewesen sind.«
    Sie zerrte an ihrem Ausschnitt, als litte sie unter Atemnot.
    »Ich kann bezeugen, dass sie zu Hause war.« Die Frau, die jetzt auf der Schwelle erschienen war, hatte rosarote Lippen und einen exakt geschnittenen schwarz gefärbten Pagenkopf. Sie war groß und trug ein altmodisches, ziemlich abgetragenes Kostüm, dem man jedoch ansah, dass es einmal ziemlich teuer gewesen sein musste.
    »Und wer sind Sie, bitte?«
    Bärneflod musterte die Frau ungeniert von oben bis unten. Sie mochte etwas über vierzig sein.
    »Ich – ich helfe Solveig beim Einkaufen und anderen Dingen. Ich bin vom Pflegedienst«, erklärte sie. »Und ich kann bezeugen, dass Solveig gestern Abend hier war.«
    Frau Granith blickte dankbar zu ihrer Haushaltshilfe auf, wie ein Kind in Not, das sich an seine Mutter wendet.
    »Und in der Nacht?«, erkundigte sich Bärneflod misstrauisch.
    Das Chaos in der Wohnung wollte nicht zu der Behauptung passen, dass Solveig Granith einen Pflegedienst in Anspruch nahm. Außerdem sah das Kostüm der Pflegerin nicht gerade so aus, als fiele Putzen in ihren Aufgabenbereich. Aber vielleicht war Putzen nach den Kürzungen, die wie ein Tsunami über die Altenpflege hinweggegangen waren, wegrationalisiert worden, dachte Bärneflod.
    Er wusste nur zu gut, wie es gehen konnte: In dem Heim, in dem seine eigene Mutter lebte, gab es kaum genug Personal, um den alten Leuten die Windeln zu wechseln.
    »Aha, Sie arbeiten also abends und nachts?«, rief Bärneflod, nachdem er einen Blick auf die Uhr geworfen hatte. Er versuchte nicht, seinen Argwohn zu verbergen. Und wurde die Pflegerin nicht auch schon ein bisschen rot?
    »Ja, manchmal arbeite ich auch abends. Die Leute brauchen ja nicht nur tagsüber Hilfe«, erklärte sie wenig überzeugend. »Gestern Abend war ich allerdings in einer anderen Angelegenheit hier. Ich hatte meine Uhr auf der Spüle vergessen – die nehme ich zum Abwaschen immer ab. Ich wollte ungern ohne Uhr herumlaufen, deswegen ... rief ich Solveig an und fragte, ob es ihr zu spät wäre, wenn ich noch bei ihr vorbeikäme.«
    »Ich bin immer sehr lange auf«, fügte Solveig mechanisch hinzu.
    »Und um welche Uhrzeit war das?« Bärneflod klang nicht weniger verbittert als vorher. Er sah die jüngere Frau an, doch die hielt seinem Blick stand.
    »Gegen neun. Ich bin noch bis Viertel vor zehn

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