Wintermord
geblieben.«
Bärneflod brummte gereizt, als er ihr den Notizblock reichte, damit sie ihren Namen und ihre Telefonnummer aufschrieb. »Für alle Fälle.«
Als sie sich nach kurzem Zögern über den Block beugte und schrieb, fiel sein Blick auf ihr Tattoo: eine Schlange, die unter ihrem Blusenkragen hervorkroch. Er schauderte.
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Auch Michael Gonzales hatte auf der Krisensitzung mit seinen Kollegen im Chor geseufzt. In Wirklichkeit aber fand er die unerwartete Wendung des Falles aufregend.
Für einen Kriminalpolizisten war er ziemlich jung, und das hatte er zu Anfang auch oft genug zu hören bekommen. Manche nickten anerkennend, verzogen den Mund, wenn sie seinen Enthusiasmus bemerkten, oder klopften ihm auf den Rücken. Manche sprachen scherzhaft sogar vom Chefsessel: Wohin soll das noch führen mit dir?
Nicht jedem imponierte es, wenn jemand schneller als normal die Karriereleiter erklomm, sei es nun auf Grund seiner Zielstrebigkeit oder auf Grund der Kanakenquote.
Dieser nur schlecht verborgene Hass hatte ihn anfangs wütend und kampflustig gemacht. Dabei identifizierte er sich gar nicht unbedingt mit der Bezeichnung »Kanake« – schließlich hatte er sein ganzes Leben in Schweden verbracht. Wenn er protestierte, dann aus einer Art Respekt für seine Mutter, damit der Kampf gegen den unterschwelligen Rassismus, den sie seit ihrer Ankunft in Schweden in den Siebzigerjahren geführt hatte, nicht umsonst gewesen war.
Andererseits konnte er sich auch aussuchen, worauf er sich einlassen wollte und worauf nicht, das hatte er nach einer Weile herausgefunden. Er war von Natur aus ein positiver Mensch und hatte im Laufe der Jahre gemerkt, dass sein Charme ihm auch Macht verlieh: Damit konnte er Missverständnisse überbrücken, Gegner entwaffnen und auf diese Art die Kontrolle behalten – statt Opfer seines eigenen Zorns zu werden.
Er hatte sich schon immer gewünscht, bei der Kriminalpolizei zu arbeiten und hätte mit niemand tauschen wollen. Schon als Teenager hatte er Krimis verschlungen und keinen Fernsehkrimi verpasst. Deswegen hatte er sich auch zweimal bei der Polizeischule beworben, bis man ihn schließlich annahm.
Problemlos konnte er sich mit der Figur des einsamen, eigensinnigen und aufopfernden Kriminalpolizisten identifizieren, wie er von Henning Mankell, Colin Dexter oder Michael Connelly gestaltet wurde.
Tatsächlich hatten die Ermittlungen im wirklichen Leben wenig mit der Welt der Krimiserien und der Literatur zu tun. Zu Beginn seiner Laufbahn musste er eine gefühlte Ewigkeit Streife fahren. Er hielt Autofahrer an, die zu schnell gefahren waren, schnappte Gelegenheitsdiebe, wälzte Papier und schrieb Berichte über gestohlene Autos – um eines Tages endlich die Chance zu bekommen, sich mit den größeren Fragen zu beschäftigen.
Innerlich jubelnd sah er seinen Namen auf der kleinen Glasscheibe neben seinem Büro: Michael Gonzales – Morddezernat.
Und dann – hatte er weiter Papier gewälzt und weiter Berichte über häusliche Auseinandersetzungen geschrieben, mit dem Unterschied, dass die Fälle nun mit dem Tod eines Beteiligten endeten.
Er nahm ein Gespräch entgegen, das die Telefonzentrale irrtümlich zu ihm durchgestellt hatte. Nachdem er aufgelegt hatte, blieb er noch eine Weile tatenlos sitzen.
Nachforschungen anstellen, hatte Tell gesagt. Kennenlernen. Informationen sammeln, die losen Fäden verbinden. Weiterdenken.
Der hatte gut reden.
Was die Aufgaben bei einer Mordermittlung anging, war Gonzales nun wirklich kein Neuling mehr: Die Struktur und die Vorgehensweise waren in vielerlei Hinsicht immer dieselben, egal wer getötet hatte und wer getötet worden war.
Im Jeep-Fall hatte er zum ersten Mal freiere Hand, ohne dass jemand das explizit so ausgesprochen hätte. Man überließ es ihm, eigene Schlüsse zu ziehen und seine Arbeit nach eigenen Ideen anzulegen.
Aus Borås hatte er sich den Bericht über die Ermittlungen von 1995 schicken lassen, die irgendwann mangels Beweisen eingestellt worden waren. Niemand, mit dem die Polizei damals gesprochen hatte, konnte einen potenziellen Täter nennen. Und nichts bewies letztendlich, dass My Granith nicht aus freien Stücken die Straße verlassen hatte, um wenig später im Wald zu stolpern und sich den Kopf an einem Stein aufzuschlagen.
Zwischen den Stapeln auf dem Schreibtisch lag ein Kollegblock, in dem er jetzt eine neue Seite aufschlug. MY schrieb er in die Mitte und zog einen Kreis um den Namen.
Vom Jahr des Verbrechens
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