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Wintermord

Wintermord

Titel: Wintermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Ceder
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Sie konnte akzeptieren, dass er in diesem Fall glaubte, ein Recht auf ihre quälenden Erinnerungen zu haben. Sie konnte sogar die Meinung teilen, dass sie früher mit ihm hätte sprechen müssen, statt, wie er es ausdrückte, private Ermittlungen anzustellen.
    Sie hatte seine Enttäuschung wirklich ernst genommen. Sie hatte sich ins Zeug gelegt, um ihm zu erklären, was sich in jener Nacht in ihrem Kopf abgespielt hatte, in den folgenden Jahren und in den letzten Tagen, als sie ihm immer noch nichts davon erzählen mochte.
    Es gab noch einen weiteren Grund, warum sie versucht hatte, ihre bösen Vorahnungen zu verdrängen. Als die Erinnerung erst mal an die Oberfläche geschwemmt worden war, fand sie sie schrecklich bedrückend. Für den Rest ihres Lebens würde sie diese kalten Finger auf der Seele spüren.
    Doch wenn sie jemals ihre Seelenruhe finden wollte, musste sie jetzt handeln. Das war ihr inzwischen klar geworden. Und da all ihre Verpflichtungen gegenüber Christian Tell erloschen waren, konnte sie das ganz in ihrem Sinne tun. Sie hatte den Entwurf zu einer Kriminalgeschichte im Computer, eine angefangene Story und die Mappe befanden sich neben dem dicken »Journalismus und Ethik«-Skript.
    Bis zu ihrer Prüfung waren es nur noch wenige Tage, und sie hatte noch nicht mal einen Blick auf den Stoff geworfen. Egal, dachte sie. Was machte denn eine Journalistin, wenn nicht schreiben?

59
    Es war nicht zu übersehen, dass die kleine Jagdhütte schon länger nicht mehr genutzt worden war. Als er damals die Nerzfarm kaufte, war die Hütte inbegriffen, doch bis heute hatte Sven Molin keinen Fuß hineingesetzt. Die Jagd reizte ihn nicht sonderlich, standen doch die Mühen in keinem Verhältnis zum Gewinn – sprich, der Fleischausbeute.
    Das Holz der Vortreppe war morsch und die Tür klemmte.
    Schließlich entdeckte er, dass eines der Fenster nicht richtig geschlossen war, zwängte sich hindurch und landete auf dem Boden. Ein gezielter Tritt von innen ließ die verklemmte Tür endlich nachgeben.
    Er hielt eine Weile den Atem an, weil er sich scheute, die Stille zu stören. Soweit er informiert war, wusste niemand von der Existenz der Hütte. Der letzte Besitzer hatte sie auch nur in einem Nebensatz erwähnt.
    Nachdem er zur Tarnung den Pick-up auf dem Hof vollgeladen hatte, war er durch die Hintertür verschwunden und hatte sich wie ein gejagtes Tier durch den Wald davongemacht. Der Zündschlüssel zum Saab seines Nachbarn lag wie immer auf dem linken Vorderreifen. Er war ein gejagtes Tier, diese Erkenntnis traf ihn nun mit voller Wucht. Irgendjemand war hinter ihm her, und dieser Jemand hatte anscheinend kein großes Problem gehabt, ihn aufzuspüren. Andererseits hatte er sich auch nicht gerade angestrengt, seine Spuren zu verwischen. Wahrscheinlich weil er es nicht für nötig gehalten hatte.
    Dass er Olofstorp nach dem »Unfall« verlassen hatte, lag weniger an der Angst vor juristischen Konsequenzen ihrer Tat – er war ja nicht einmal sicher, ob es sich um ein Verbrechen gehandelt hatte. Vielmehr war er vor den Erinnerungen geflohen, die für ihn zur Qual wurden, wenn er seine zwei Freunde traf, ihre Stimmen hörte und an die albtraumartige Dezembernacht bei Borås erinnert wurde.
    Er wollte einfach nur fort, außerdem gab es ja nicht viel, was ihn gehalten hätte. Seine alternden Eltern. Die peinliche Junggesellenbude im Keller. Sein trister Job im Lager. Er beschloss zu desertieren, sich ein eigenes Leben aufzubauen und eine Familie zu gründen.
    Mit der Nerzfarm und Lee hatte er sein Ziel erreicht. Er war zufrieden. Der Unfall geriet langsam in Vergessenheit. Er hatte mit dem unglücklichen jungen Mann zu tun, der er früher gewesen war, nicht aber mit dem heutigen Familienvater.
    Am Morgen nach dem Unfall hatte er den ganzen Flur und die Kellertreppe vollgekotzt, hatte gezittert und geweint wie ein kleines Kind. Seine Eltern hatten den Vorfall seither nie mehr zur Sprache gebracht, doch jetzt hatte sein Vater ihm die Fakten präsentiert, aus denen er seine Schlussfolgerungen gezogen hatte. Dabei war er ganz sachlich, als wären Lise-Lott Edells neuer Mann und Pilen nicht innerhalb weniger Tage ermordet worden.
    Natürlich hätte Sven Molin niemals gedacht, dass die Geschichte ihn irgendwann einholen könnte. In gewisser Weise war der Zeitpunkt denkbar schlecht: Nun, da er sich endlich etwas aufgebaut hatte, wofür es sich zu kämpfen lohnte. Und jetzt wurde er tatsächlich gezwungen zu kämpfen.
    Bei jedem

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