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Wintermord

Wintermord

Titel: Wintermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Ceder
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für die jeweils eine Berühmtheit Pate gestanden hatte, eine gewagte Mischung aus Filmstars, Schriftstellern, Politikern und Philosophen. Für die Zimmer der Schüler hatte die Astronomie herhalten müssen: Der schmale Flur hieß »Milchstraße«, und sie schlief im Raum »Galilei«. Somit war der Dachboden auch namentlich dem Himmel am nächsten.
    Ab und zu redete sie mit Caroline, aber sie suchte sie nicht bewusst auf. Eher im Gegenteil: Caroline mit ihrem intensiven Blick machte sie nervös, und wenn sie wegfuhr, war My erleichtert.
    Dass sie sich ab und an unterhielten, war Caroline zu verdanken. Sie bemerkte Mys Heimweh und sprach sie ungeniert immer wieder darauf an. »Du fühlst dich hier noch nicht so richtig heimisch, oder?«
    Sie saßen an der Rückwand des Hauses auf der Treppe, die in den Garten führte.
    My wollte nicht den verstockten Teenager spielen. Sie wünschte sich diese Vertraulichkeit, aber dann konnte sie sich plötzlich nur noch auf die Ameise konzentrieren, die über ihren nackten Fuß krabbelte.
    »Hab ich am Anfang auch nicht. Ich fand alles ganz schrecklich und dachte, ich hätte die falsche Entscheidung getroffen. Außerdem hatte ich schreckliche Angst«, sagte Caroline.
    »Und jetzt kann ich schon mein achtes Jahr hier feiern. Hoffentlich wird es nicht noch ein ganzes Jahrzehnt. Ich meine, man kann nicht irgendwo am Ende der Welt hängen bleiben, bis man gar nicht mehr weiß, wie es draußen aussieht.«
    »Ich finde es hier schlimmer. Wie es in der Stadt ist, weiß ich schließlich. Ich bin einfach von diesem ganzen Scheiß abgehauen.«
    Sie sagte es, ohne aufzublicken. Einen Moment war es still, dann warf Caroline den Kopf zurück und streckte die Beine. Ein schwacher Wind strich durch die Blätter. Schließlich sagte sie: »Ich bin auch von dem ganzen Scheiß abgehauen, damals, vor acht Jahren. Ich hab schon gesehen, dass es dir so ähnlich ergangen ist.«
    Durch Mys Brust flutete eine warme Welle, und auf ihrem Hals erschienen hektische Flecken. Um ihr Gesicht zu verstecken, legte sie die Stirn auf die angezogenen Knie und schlang die Arme um die Schienbeine, bis die Hitze verebbt war. »Wohnst du eigentlich hier?«
    »Ja, das kann man so sagen«, lachte Caroline und zeigte auf eines der Häuschen am Waldrand. »Seit ein paar Jahren wohne ich in diesem Haus da. Vorher war da ein Atelier für die Mal- und Töpferkurse untergebracht, aber die sind ja jetzt im mittleren Stockwerk. In den ersten Jahren wohnte ich in einem der Mansardenzimmer, aber es ist schon schön, was Eigenes zu haben, mit eigener Küche und so.«
    »Hast du keine Wohnung, in die du fahren kannst, wenn du frei hast?«
    »Nicht mehr. Als ich mit der Schule fertig war, hab ich mir eine Bude besorgt, aber wenn ich hier gearbeitet hab, stand die ja immer leer.«
    Sie zögerte und schien My mit einem Blick abzuschätzen. »Ich hatte so einige Probleme, bevor ich hierher kam. Eigentlich will ich gar nicht darüber reden. Sagen wir so: Es war meine Rettung, dass ich hier gelandet bin. Als ich irgendwann im Sommer merkte, dass der Gedanke an die Heimfahrt nur noch Beklemmungen in mir auslöste, hab ich die Wohnung aufgegeben.«
    »Weißt du, der Gedanke, so allein in einer Wohnung zu sitzen und etwas Vernünftiges mit dem Leben anfangen zu müssen, macht mich wahnsinnig. Ich halt das nicht aus. Alleinsein ist eine Kunst, und ich beherrsche sie nicht besonders gut.«
    Sie zog sich das Hemd glatt und griff nach ihrer Kaffeetasse.
    »Es ist auch eine Kunst, mit Menschen umzugehen«, sagte My verständnisvoll.
    Caroline stand auf. »Danke für die tröstlichen Worte, sie haben einer Frau nach ihrer ungenierten Nabelschau wirklich das arme Herz gewärmt. Nächstes Mal kannst du dich dann ja auf die Couch legen.«
    »Nein, danke.« My rieb sich verlegen Schultern und Oberarme.
    Da beugte sich Caroline so vorsichtig über sie, als wäre My ein scheues Tier. Sie legte ihr ganz leicht die Hände auf die Schultern. My hielt den Atem an.
    Sie roch nach Rauch und Zucker.

9
    2006
    Lise-Lott Edells Nase und Wangen leuchteten sonnenbrandrot, während die Haut rund um die Augen weiß geblieben war.
    »Atmen«, murmelte Tell und drückte der unter Schock stehenden Frau den Kopf vorsichtig aber bestimmt nach unten. Wimmernd sträubte sie sich, als wolle er ihr wehtun.
    »Sie müssen tief atmen. Ein, aus. Ein, aus. So ist es gut.«
    Karin Beckman steckte den Kopf durch die Küchentür, um zu zeigen, dass sie eingetroffen war.
    Er nickte ihr

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