Wintermord
Chilenen und Jugoslawen aus seiner Straße. »Kennen Sie Lise-Lott Edell und Lars Waltz?«
»Nein, das kann ich nicht behaupten. Diesen Waltz schon gar nicht. Der wohnte ja noch nicht lange hier. Lise-Lott hab ich ab und zu getroffen, ist ja ein kleiner Ort. Mein Mann kannte natürlich auch den Vater von ihrem ersten Mann, die jagten im selben Revier. Sie wissen wahrscheinlich, dass Lise-Lott auf den Hof eingeheiratet hat. Ihr erster Mann, Thomas, ist dann aber gestorben, aber eines natürlichen Todes – ich glaube, es war das Herz. Sein Vater ist auch an so einer Herzgeschichte gestorben. Außerdem glaube ich, dass Thomas eine große Schwäche für Alkohol hatte. Lise-Lott konnte sich dann immerhin mit ihrem Erbe trösten, zu dem Hof gehörte einiges an Ländereien. Reino war darüber natürlich nicht so glücklich.«
»Reino?«
Karin Beckman sah, dass Gonzales eifrig mitschrieb, und bereute, kein Diktiergerät mitgenommen zu haben. Von einer waschechten Klatschtante konnte man sicher so Einiges erfahren.
»Reino. Der Sohn von Gösta und Barbro. Thomas’ Bruder. Kann man ja auch verstehen. Es ist eine Sache, wenn das väterliche Erbe an den großen Bruder geht, aber eine ganz andere, wenn dann die Witwe den Hof gegen die Wand fährt. Denn die geborene Bäuerin ist sie ja nun nicht, unsere Lise-Lott. Im Grunde könnte sie ihren Kram zusammenpacken und irgendwo in ein nettes kleines Häuschen ziehen – so sieht Reino die Sache, vermute ich. Ich hab Reino zwar noch nie besonders gemocht, aber man muss ihn auch verstehen. Auf Gertruds Hof hat er es nicht ganz leicht, der ist zu klein, um wirklich Gewinn abzuwerfen.«
Sie lehnte sich zurück und ließ die Fingerspitzen über ihren Küchentisch gleiten. »Man muss es zugeben können, wenn man zu irgendetwas einfach nicht das Zeug hat. Dass sollte Lise-Lott tun. Wir haben es ja auch getan.«
»Haben was getan?«
»Sind in dieses nette kleine Häuschen gezogen. Bo hat Probleme mit dem Rücken gekriegt und konnte Rappskö nicht mehr bewirtschaften – das ist der erste Hof nach der großen Straße, der gelbe. Der gehörte Bos Familie, seit vier Generationen. Unser Sohn und seine Frau haben den Hof übernommen. Man muss seinen Platz für die Jungen räumen. Und wir haben dieses Häuschen zu einem guten Preis gekriegt. Anna-Marias Mutter – also, Anna-Maria, das ist unsere Schwiegertochter – hatte ...«
»Danke.«
Karin Beckman unterbrach sie, indem sie beide Hände hob. Gleichzeitig lächelte sie, um ihrem Ton die Schärfe zu nehmen.
»Wir sind vorerst dankbar für Ihre Auskünfte. Wenn Ihnen doch noch etwas zu Lars Waltz einfällt, können Sie sich gerne melden.«
Sie legte ihre Visitenkarte auf den Tisch.
»Wäre es ermittlungstechnisch nicht besser gewesen, Frau Rappe weiterreden zu lassen? Wir hätten vielleicht noch was Interessantes erfahren«, bemerkte Gonzales, als sie vor der Tür von Rappes Nachbarn standen und den Türklopfer in Form eines Löwenkopfes betätigten. Im Haus rührte sich nichts.
Sie gingen zurück zum Auto.
»Ermittlungstechnisch ... Du hast bestimmt recht, aber ich konnte echt nicht mehr. Wer war diese Anna-Maria noch mal?«
»Ihre Schwiegertochter. Aber ich denke eher an diesen Reino, der scheint ja wohl ein echtes Motiv gehabt zu haben.«
»Warum denn? Wenn, dann hätte er doch Lise-Lott ermorden müssen.«
»Vielleicht wollte er keine Frau umbringen und hat stattdessen den Mann genommen. Weil er gehofft hat, dass sie dann vor Kummer umkommt oder wegzieht.«
Karin Beckman bog wieder auf die Straße und warf einen Blick auf die Uhr. »Wir haben jetzt nur noch drei Besuche vor uns. Das ist der Vorteil, wenn man in so einer Einöde ermittelt.«
Gonzales grinste schwach. »Jo. Aber ich würde sagen, die Nachteile überwiegen. Die Bauern zum Beispiel. Ich meine, wenn ich an deren Stelle wäre und einigermaßen normal im Kopf, hätte ich mich doch nicht so verdächtig benommen.«
» Wenn du einigermaßen normal im Kopf wärst ...«
13
1993
Im Laufe der Zeit fand My sich in der Schule immer besser zurecht.
Das Lernen machte ihr richtig Freude. Sie hatte das Gymnasium abgebrochen, weil sie ihre ganze Existenz in Frage gestellt hatte. Jeden Morgen war sie mit dem Pendelzug nach Göteborg gefahren, um mit ihrer Clique im Café am Nordbahnhof herumzuhängen. Sie tranken Tee, kritzelten Texte auf Servietten und rauchten Selbstgedrehte.
Das Jugendzentrum, die andere Option für Schulschwänzer, kam gar nicht in Frage. Zwei Tage
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