Wintermord
dem Hof wohnen bleiben könnten. Theoretisch brauchte Reino den ja sowieso nicht, denn er wohnte sehr gut in dem größeren Haus, das früher Gertruds Eltern gehört hatte.
Doch auf einmal verfinsterte sich Waltz’ Miene und er erklärte, der einzige Mensch, der ein Anrecht auf den Hof habe, sei Thomas’ Witwe, Lise-Lott, und deshalb liege es allein bei ihr, was sie mit Haus und Grund anfangen wollte. »Außerdem habe ich während meines Wehrdienstes dauernd an Autos rumgebastelt, und damals hab ich mich ziemlich geschickt angestellt.«
Mit diesen Worten machte er kehrt und stakste die Steintreppe hoch, die Reinos Vater einst verbreitert hatte, weil seine Mutter sich wie eine Gutsherrin fühlen wollte.
Die Wut überkam ihn so jäh und heftig wie eine Explosion. Es verlangte ihm die äußerste Selbstbeherrschung ab, Waltz nicht nachzulaufen und zu Boden zu schlagen. Das wäre nicht gut, gerade im Hinblick auf seinen neuesten Einfall, die Ansprüche der Witwe seines Bruders juristisch prüfen zu lassen.
Wenn er an dieses Gespräch mit Waltz zurückdachte, bekam er heute noch heiße Ohren. Aber jetzt war alles über den Haufen geworfen. Als er zu der Kurve kam, hinter der ihr Haus auftauchte, verlangsamte er unauffällig und fuhr an den Absperrbändern der Polizei vorbei. Da merkte er, dass die Maschinerie, die in all den Jahren in seinem Inneren gearbeitet hatte, plötzlich schwieg.
12
Karin Beckman betrachtete die Kette mit wachsender Sorge. Bei jedem Sprung, den der muskulöse Köter in ihre Richtung machte, schien sie sich bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit zu spannen.
»Du bist ja ganz blass um die Nase«, lachte Gonzales. »Macht dir unser kleiner Freund solche Angst?«
Karin Beckman schnaubte. »Du gehst ja auch nicht grade zu ihm, um mit ihm zu schmusen.«
Sie verstummte, als die Verandatür schwungvoll aufging. »Jetzt ist aber mal Ruhe! Simba! Aus! «
Die Frau trug einen Morgenrock über Jeans und T-Shirt, und über das auf Lockenwickler gedrehte Haar hatte sie einen Schal geschlungen. Gonzales stieß Karin Beckman in die Seite. »Also, da macht mir die da mehr Angst!«
Der Gesichtsausdruck der Frau verriet ihnen, dass sie ihr Anliegen besser schnell vorbrachten.
Jetzt saßen sie in einer heruntergekommenen Küche bei Instantkaffee, obwohl sie beide das Angebot dankend abgelehnt hatten. Die Frau legte den Morgenrock ab. Die Wand hinter ihr war tapeziert mit gerahmten Fotos von kleinen Jungen und Mädchen vor himmelblauem Atelierhintergrund.
»Enkel«, erklärte sie.
Gonzales nickte höflich.
»Süß, ja. Aber wenn wir zur Sache kommen dürften, Frau Rappe. Vom Abend des Neunzehnten bis zum Morgen des Zwanzigsten diesen Monats. Wir interessieren uns für alles irgendwie Außergewöhnliche, was in dieser Zeitspanne passiert sein könnte. Ob Sie zum Beispiel jemand gesehen haben, den sie nicht kannten.«
Frau Rappe drückte ihre Zigarette aus und hustete asthmatisch, bevor sie antwortete. »Es geht wahrscheinlich um Edell, oder? Ich hab von Molins gehört, dass da jede Menge Autos in der Auffahrt stehen. In so einer kleinen Gemeinde möchte man schließlich wissen, was los ist. Als ich vorbeigefahren bin, hab ich auch gesehen, dass dort alles abgesperrt ist. Dagny meinte, dass jemand eingebrochen sei, aber so blöd bin ich auch wieder nicht, dass ich glaube, man würde in unserer Gegend so einen Aufstand wegen eines Einbruchs machen. Nein, ich glaube, Waltz ist ermordet worden, oder?«
Die Frage hing in der Luft. Frau Rappe ließ keinen Zweifel daran, dass sie erst fortfahren würde, wenn sie eine Antwort bekommen hätte.
»Aus ermittlungstechnischen Gründen können wir uns dazu noch nicht äußern«, sagte Gonzales. »Aber wir brauchen Ihre Hilfe. Sie wohnen ja ganz in der Nähe und haben vielleicht etwas beobachtet.«
Sie zuckte mit den Schultern. »Na ja, was heißt schon in der Nähe. Ich kann die Straße vom Fenster aus nicht besonders gut sehen, aber ich weiß, dass am Abend mehrere Autos vorbeigekommen sind. Ungefähr fünf Kilometer von hier gab es eine Hausbesichtigung. Ein Herrenhof aus dem 18. Jahrhundert. Das weiß ich, weil die Maklerin in den Graben gefahren ist, als sie dem Gegenverkehr ausweichen wollte. Mein Mann Bo hat sie rausgezogen, und bei der Gelegenheit ein bisschen was von ihr erfahren.«
Gonzales, der in einem Vorort aufgewachsen war, gegen den die meisten Leute Vorurteile hatten, dachte, dass die Landbevölkerung tatsächlich noch seltsamer war als die
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