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Wintermord

Wintermord

Titel: Wintermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Ceder
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hinterfragte, fiel ihm der Abend im Bahnhofsrestaurant ein, an dem Seja neben ihm auf einem Barhocker gesessen hatte. Sie trug ihre Winterjacke, und er hatte sich gedacht, dass diese Frau eine ähnliche Einsamkeit ausstrahlte wie er selbst.
    Carina, mit der er sich am ehesten ein gemeinsames Leben hätte vorstellen können, hatte es einmal so formuliert: Christian, in deinem Weltbild stehst du ganz allein im Zentrum. Alle anderen Menschen sind nur Schatten. Allesamt unzuverlässig und entbehrlich .
    »Der reicht mir auch.«
    Sie vertrug mehr, als er erwartet hatte, und auf einmal war er betrunken.
    Die Bar unter dem Hotel »Europa« führte diverse Sorten Lagerbier, und irgendwann im Laufe des Abends beschlossen sie, alle zu probieren. Als der herzliche irische Pubbesitzer gegen Mitternacht die elektrischen Adventskerzen ausschaltete und sie mit einem freundlichen »Don’t forget Christmas. Merry Christmas, kids!« vor die Tür setzte, mussten sie sich gegenseitig stützen.
    Nach dem Regenschauer hatte es gefroren. Die Straßen waren leer und glatt. Auch der Kanal, dessen Brücken mit funkelnden Lichterketten geschmückt waren, war bedeckt von einer dünnen Eisschicht. Sie hockten sich auf die unterste Stufe der breiten Steintreppen, die von der Straße zum Wasser hinabführten, und ließen die Schuhsohlen auf dem dünnen Eis ruhen.
    Schnell drang der Frost durch ihre Kleider, und als sie mit fast abgefrorenen Füßen aufstanden, kam es ihm gar nicht seltsam vor, sie zu sich nach Hause einzuladen.
    Dass sie dann miteinander im Bett landeten, war nicht so geplant. Als er am Morgen des 24. Dezember von der bleichen Wintersonne geweckt wurde, donnerte ein gewaltiger Kater gegen seine Stirn, während gleichzeitig Angst in ihm aufstieg. Dieser Ausrutscher konnte ihn teuer zu stehen kommen, wenn seine Kollegen davon erfahren sollten. Und Ann-Christine Östergren obendrein, wenn es sich bis zu ihr herumsprechen sollte. Und das würde es höchstwahrscheinlich.
    Vorsichtig, um sie nicht zu wecken, streckte er die Hand aus und fuhr die Umrisse ihres Körpers nach. An den vorherigen Abend hatte er nur unzusammenhängende Erinnerungen: Plötzlich fiel ihm ein, wie ihr Gesicht unter ihm ausgesehen hatte, wie sie mit großen Augen von Angst und Vertrauen sprach.
    »Christian?«
    »Ja?«
    »Ich trau mich nicht, mich umzudrehen. Ich hab Angst, dir anzusehen, dass du die letzte Nacht bereust.«
    Diese ungeschriebenen Regeln waren ihm schon immer ein Rätsel gewesen, dieses exakt abgemessene Geben und Nehmen, das ein Mann perfekt beherrschen muss, wenn er nicht wie ein Weichei aussehen will.
    Er fuhr ihr zärtlich durch die zerzausten Haare.
    »Frohe Weihnachten«, sagte sie.
    Seja wiederholte immer wieder, dass sie gleich losgehen würde, um ihr Auto zu holen und nach Hause zu fahren. Aber zuerst wollten sie noch das Weihnachtsfrühstück genießen. Sie rief Åke an und bat ihn, Lukas zu füttern, während Tell loszog, um Milchreis, Gewürzbrot für die Suppe und Cheddar zu besorgen. Außerdem kaufte er ein Eau de Toilette, das er in geblümtes Geschenkpapier wickeln ließ.
    Stundenlang gammelten sie zusammen vor dem Fernseher. Irgendwann tranken sie sogar die halbe Flasche Jameson aus. Und so blieb Seja schließlich doch bis zum nächsten Morgen.
    Beim Abschied hielten sie sich auf dem Flur eine Weile bei den Händen, bevor Seja sich losmachte. Tell blieb auf der Schwelle stehen, bis das Geräusch ihrer Schritte verklungen und die Haustür zugefallen war. Zum ersten Mal seit beinahe achtundvierzig Stunden dachte er an die Arbeit.
    Der Gedanke verursachte ihm Magenschmerzen.

20
    1994
    Mys Lehrer sprach über die besorgniserregende Entwicklung, die ihr Ehrgeiz genommen hatte. Er spielte dabei auf Mys und Carolines Verhältnis an, aber ganz offensichtlich quälte ihn noch etwas anderes, was er nicht richtig in Worte fassen konnte.
    My half ihm allerdings nicht. Sollte er doch allein mit seiner Eifersucht klarkommen. Schließlich verlief das Gespräch im Sande, sie versprach, sich zusammenzureißen, und entwischte ihm.
    Ja, sie wusste, dass sie jung war und die besten Voraussetzungen für ein richtig gutes Abschlusszeugnis mitbrachte. Wenn sie sich einfach nur so anstrengte wie zu Anfang, vor einem Jahr, als in ihrem Leben noch nichts Bedeutendes vorgefallen war. Das erschreckte sie fast am meisten: Außer Caroline war ihr alles egal. Warum? Weil Caroline sie glücklich machte. Weil My mehr als bereitwillig ihre Erwartungen

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