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Wintermord

Wintermord

Titel: Wintermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Ceder
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erfüllte.
    Nach einem zweiwöchigen Aufenthalt in Borås kehrte sie in die Schule zurück. Zwei Wochen, in denen sie vor lauter Sehnsucht nach Stensjön zu nichts zu gebrauchen war. Deswegen war sie auch so verblüfft, als Caroline sie mit zornigen Anklagen empfing: Sie brenne nicht mehr für sie, sie sei dabei, sich von ihr zu entfernen.
    Die Signale seien geringfügig, aber eindeutig, meinte Caroline, die gar nicht bemerkte, welche Ängste in My aufflammten. My sei freundlich, aber nicht herzlich. Ihre Liebhaberin, aber nicht mehr ihre Zwillingsseele. Sie halte es nicht mehr aus.
    So sehr My die Echtheit ihrer Gefühle auch beteuerte, es reichte nie.
    Als der heftigste Zorn verebbt war, wandte sich die gekränkte Caroline von ihr ab. Von einem Tag auf den anderen traf sie sich mit einem der Jungs aus Mys Klasse, einem schweigsamen jungen Mann mit dunklen Augen. Sie hielten Händchen hinter der Kantine, und Carolines Wangen glühten. In der Dämmerung stand My hinter der Gardine im Besucherzimmer der Schule, wohin sie sich zum Schlafen geflüchtet hatte. Da sah sie ihn auf der Veranda des Ateliers, mit schief zugeknöpftem Hemd und zerstrubbelten Haaren.
    In diesen dunklen Momenten kam es My so vor, als würde Caroline ihre Verzweiflung genießen.
    Sie hatte Glück und bekam ein neues Zimmer, sogar mit Ausblick auf den Garten. Es gefiel ihr. Zwei Wochen ließ sie ihre Koffer unausgepackt herumstehen, als wollte sie nur ein paar Tage bleiben. Eines Tages stand Caroline wieder vor ihr und triumphierte: Ich liebe den Gedanken, dass ich die Erste für dich war. Nicht nur die erste Frau, mit der du geschlafen hast, sondern auch der erste Mensch, der wirklich deine Seele berührt hat.
    Sie hatte sich die Haare zu einem struppigen Hahnenkamm wachsen lassen. »Jetzt weiß ich, dass ich dir etwas bedeute.«
    My verzieh ihr und zog wieder ins Atelier. Sie gab den Zimmerschlüssel wieder ab und errötete, als sie ihn Greta Larsson im Sekretariat in die Hand drückte. Greta legte den Kopf schräg und versuchte, ein freundliches Gesicht zu machen, obwohl aus ihren kryptischen Worten das Gift tropfte: »Ich finde, ein kluges Mädchen wie du sollte ein bisschen besser auf sich aufpassen, My. Man kann nicht immer sicher sein, dass man alles Wichtige über jemand weiß, mit dem man sich einlässt.«
    Aber wer weiß schon, was wichtig und richtig ist im Leben, während er mittendrin steht? My ließ sich von einer Leidenschaft mitreißen, die sie wochenlang nicht losließ. Caroline und sie konnten kaum einmal die Hände voneinander lassen. Die Liebe war eine Berg-und-Tal-Bahn, in der Verrat nicht vorkam. Ein Verrat, der sich unmöglich in Worte fassen und daher nicht verarbeiten ließ. Als My die Erwartungen nicht erfüllte, zog Caroline sich zurück und wurde schweigsam und unzugänglich, bis My wieder in Tränen ausbrach.
    Und obwohl My sich gerade noch um ihre Studien kümmern konnte – wenn Caroline und sie leidenschaftlich verliebt waren –, war sie völlig gelähmt, wenn ihre Freundin nicht mehr mit ihr redete. In diesen Phasen brauchte sie alle Kraft, nicht zu bitten und zu betteln und auf den Knien vor Caroline zu rutschen.
    Caroline stand vor der Eingangstür des Hauptgebäudes und rauchte – ein alltäglicher Anblick.
    My dachte daran, wie Caroline ihr das Gefühl der Einsamkeit nehmen konnte, wie sie es sich aussuchen konnte, ob sie lieben wollte oder nicht. Am liebsten wäre sie zu ihr gelaufen, aber die vielen Schüler hielten sie davon ab, eine Szene zu machen.
    »Wir ziehen weg«, verkündete My, als sie schließlich allein auf der Treppe standen. »Wir ziehen weg, in ein eigenes Zuhause, nur du und ich. Wir können doch nicht für immer hierbleiben.«
    Carolines Miene blieb völlig ausdruckslos.
    »Ich hab mein Abschlusszeugnis ja bald«, fuhr My fort, »dann könnten wir nach Göteborg gehen. Oder uns ein kleines Haus suchen.«
    »Du und ich?« Ein Lächeln spielte um Carolines Mundwinkel. »Jetzt gehst du aber richtig in die Vollen, was?«
    Sie betrachtete My, und ihre Augen unter den breiten Brauen verengten sich. »Viele sind von Natur aus Betrüger. Du nicht. Verstehst du? Du und ich, wir sind gleich. Du willst die Dinge immer bis zum Letzten ausreizen.«
    »Ja, ich will es bis zum Letzten ausreizen.«
    »Und du bist doch keine Betrügerin?«
    »Nein, ich bin keine Betrügerin.«

21
    2006
    Bärneflod schnallte seinen Gürtel noch ein Loch weiter und betrachtete bekümmert, was Weihnachten seinem sowieso schon

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