Winternacht
Stofftier. Rhia und Grieve kamen hinterher. Rhia half mir, ein Nachthemd anzuziehen, und kroch anschließend zu mir unter die Decke.
»Ich lasse sie im Moment nicht allein. Es kann sein, dass sie noch einmal reagiert. Geht ihr ruhig hinunter und redet über alles. Ihr könnt uns alles Wichtige später zusammenfassen.«
Als Grieve und Wrath das Zimmer verließen, lehnte ich mich gegen Rhia – ich saß am Kopfende des Bettes – und schloss die Augen. Ich war müde, so müde, aber auch noch kribbelig von den Medikamenten. Doch ihr ruhiger Atem begann mich zu entspannen, und als sie mir über die Haare zu streicheln begann, schloss ich die Augen und spürte, wie ich endlich in tiefen Schlaf sank.
Ich stand in einem zartblauen Kleid mit silberner Stickerei inmitten einer gefrorenen Einöde. Kalt war mir nicht; die Schneeflocken taten meiner Haut gut und beruhigten meinen Geist. Eine Bewegung ließ mich aufblicken, und ich sah eine Eule heranfliegen und hob die Hand zum Gruß. Sie schwenkte herum, tauchte hinab und landete auf meinem ausgestreckten Arm. Behutsam knickte ich den Ellenbogen ab und führte die Eule zu mir, und sie sah mich mit Augen aus gefrorenem Feuer an.
»Wo bist du gewesen, mein Freund?«, flüsterte ich ihr zu. Meine Stimme wurde vom Windschatten erfasst und verbreitete sich im Wald. Das Eis barst auf dem Fluss, und das Wasser begann wieder zu strömen.
»Was hast du gesehen?« Und diesmal ließ meine Stimme die Bäume erzittern, und der Schnee, der aus ihren Kronen rieselte, bedeckte die Erde mit eisigem Regen.
Die Eule stieß einen klagenden Laut aus, und wir sahen einander in die Augen. In ihrem Blick sah ich den Sommer, und er lockte mich mit Rosen an einem warmen, dämmrigen Abend, und der Duft nach Jasmin und Geißblatt durchströmte mich. Die Einladung war so verführerisch, und ich sehnte mich nach der Wärme, doch in meinem Herzen wusste ich, dass ich dieses Reich nicht betreten durfte. Noch nicht.
»Nimm eine Nachricht mit dir zurück«, sagte ich. »Ich komme, wenn König Eiche und König Winterbeere am längsten Tag des Jahres miteinander ringen. Dann werden wir spielen und tanzen und zusammen sein. Und wenn die Winterbeere auf die Eiche trifft und die Schlacht von neuem beginnt, lade ich den Sommer zu mir ein. Die längste Nacht des Jahres gehört uns. Flieg davon und trag die Nachricht in den Windschatten, und nimm meine Liebe mit dir.«
Und so erhob sich die Eule wieder in die Luft und schwang sich durch die ewige Nacht davon. Die Bäume waren silbern am dunklen Mondhimmel, und der Schnee warf die Kälte meiner Seele zurück. In der Nähe heulte ein Wolf, und mit einem Lächeln wandte ich mich um, um meinem Geliebten zu begegnen.
Abrupt erwachte ich. Meine innere Eule drängte mich, aufzustehen und aus dem Fenster zu fliegen. Rhiannon duschte – ich konnte das Rauschen des Wassers hören. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich mehrere Stunden geschlafen hatte.
Ich schlüpfte aus dem Bett und trat ans Fenster. Draußen fiel der Schnee mit gnadenloser Penetranz. Ich öffnete das Fenster und ließ mein Nachthemd zu Boden fallen. Dann hockte ich mich auf die Fensterbank und sah hinaus. Irgendetwas lockte mich, rief nach mir, und ich musste herausfinden, was es war.
Der Anhänger hing noch um meinen Hals, obwohl ich den Verdacht hatte, dass ich ihn gar nicht mehr brauchte. Ich ließ mich aus dem Fenster fallen, breitete meine Arme aus und verwandelte mich in meine Eulengestalt. Der Aufwind erfasste mich, und ich spürte Ulean und grüßte sie mit einem Ruf, als sie um mich herumschoss und mich mit Rückenwind anschob. Ich erhob mich über das Anwesen des Regenten und genoss den Wind unter meinen Flügeln, genoss die Nacht, die auf mich herabschien. Ich war zu müde, um zu jagen, aber ich wusste, dass es etwas gab, das ich herausfinden musste – etwas, das ich sehen musste.
Und dann entdeckte ich es: eine Gruppe von Gestalten, die sich vor den Mauern unter mir durch den Schnee bewegten. Ich flog hinab, um zu sehen, ob es sich um Mysts Leute handelte, aber als ich mich ihnen näherte, spürte ich die Energie, die sie umgab. Es waren Wildling-Feen, keine Schattenjäger. Und sie suchten jemanden.
Sie wollen mit dir reden.
Mit mir? Wieso denn das?
Weil sie etwas zu sagen haben.
Die Antwort war so einleuchtend, dass ich am liebsten gekichert hätte, aber da ich das nicht konnte, stieß ich einen schrillen Schrei aus.
Ich landete auf einem niedrigen Ast, von wo ich sah,
Weitere Kostenlose Bücher