Winternacht
Kaylin kann es auch.«
Ich wollte es nicht laut aussprechen, aber ich wusste, dass ich auch Rhiannon brauchen würde. Sie musste mit uns gehen. Wrath würde versuchen, mir die Idee auszureden, aber in meinem Herzen sah ich deutlich, dass sie mit uns dort sein musste. Also hielt ich den Mund, nickte und folgte ihm wieder hinaus in die verschneite Nacht.
Es war keine Stunde vergangen, als wir ins Lagerhaus zurückkehrten. Ich blinzelte verwirrt; ich hatte den Eindruck gehabt, dass wir die ganze Nacht unterwegs gewesen waren, aber die Zeit hatte im Reich der Sommerkönigin wenig Bedeutung. Wir versammelten uns um den Tisch und erklärten allen, was geschehen musste. Lannan war noch draußen auf der Jagd, was in Anbetracht seiner Stimmung und der Themen, die wir besprachen, vielleicht nicht das Schlechteste war.
Grieve war erschüttert. »Natürlich komme ich mit. Wenn die Königin von Schilf und Aue mich braucht, tue ich, was immer nötig ist. Aber ist es klug, wenn ich durch Mysts Gefilde wandere? Sie könnte mich spüren.«
»Dann ist es eben so. Jedenfalls musst du dabei sein. Chatter auch. Kaylin … und Rhiannon.« Ich sah meine Cousine direkt an. »Ich würde dich ja nicht darum bitten, aber ich hatte einen Traum, in dem wir nach dem Herzstein gesucht haben. Und du warst bei uns.«
Wrath wollte protestieren, aber ich schüttelte den Kopf.
»Nein. Sie muss mitkommen. Das zumindest weiß ich. Und wir müssen bei Tagesanbruch gehen. Die Vampirfeen haben das Gegenmittel, das Grieve verabreicht wurde, nicht bekommen. Lainule ist wegen irgendetwas – keine Ahnung, was – wütend auf Geoffrey geworden und hat alles vernichtet, was noch da war. Was bedeutet, dass wir am Tag reisen können, ohne uns große Sorgen machen zu müssen.«
»Und was ist mit dem Konsortium? Können wir nicht auf sie warten?«, fragte Rex.
Ich legte nachdenklich den Kopf schief. »Lainule liegt auf dem Sterbebett. Wir müssen den Herzstein holen, damit sie überlebt. Denn falls sie stirbt …« Ich brach ab, weil ich nicht wusste, wie ich weitersprechen sollte. Ich sah meinen Vater an. »Was geschieht denn, wenn eine Feenkönigin stirbt?«
Er stieß schaudernd den Atem aus, und mir wurde klar, wie schwer die Frage ihn treffen musste. »Dann müssen die Erbinnen sich einer Vielzahl an Prüfungen unterziehen, um zu bestimmen, wer ihren Platz einnimmt. Falls es nur eine Erbin gibt, bedarf es keiner Prüfungen.«
»Habt du und Lainule denn Kinder? Ich weiß, dass Grieve ein Prinz ist –«
Grieve räusperte sich. »Ja, ich bin ein Prinz, aber ich könnte den Thron nicht erben, auch wenn ich mit Lainule und Wrath verwandt bin. Es muss eine Königin geben, bevor es einen König geben kann, und der darf auch aus nichtadeligen Kreisen kommen. Eine Thronanwärterin jedoch muss das Blut der Königin in ihren Adern oder ihrer Seele tragen. Und wie gesagt – es muss eine Königin geben. Ein König darf nicht allein regieren. Falls Lainule stirbt …«
Wrath unterbrach. »Der heiße Brei, um den Grieve hier herumredet, besteht darin, dass ich abdanken werde, wenn meine Königin verstirbt. Ich trete den Thron an die neue Königin und ihren Prinzgemahl ab.« Er lächelte, und in den Augenwinkeln sah man die ersten Fältchen. »Schon gut, Grieve. Du kannst die Wahrheit sagen, ohne zu fürchten, dass ich Anstoß daran nehmen könnte. So sind sie Gesetze, und so wird es in unserem Volk gehandhabt.«
Ich starrte meinen Vater fassungslos an. »Wenn Lainule stirbt, wirst du …«
»Meine Krone abnehmen und ebenfalls durch den Schleier treten, um bei meiner Königin zu sein.« Er lächelte mich an. »Aber Kopf hoch, Tochter. Morgen zieht ihr los und tut, was ihr könnt, um Lainule zu retten. Um alles andere können wir uns kümmern, falls es so weit kommt.«
Ich senkte den Kopf. Mir war zum Weinen. Sowohl mein Vater als auch Grieve traten vor, aber Grieve war schneller, und ich ließ mich von ihm in die Arme ziehen, als meine Tränen auch schon zu strömen begannen. Ich konnte mich einfach nicht länger beherrschen: Der Druck, die Angst und die Trauer um die Verluste, die wir erlitten hatten und noch erleiden würden, ließ meine Schutzwälle einstürzen. Ich klammerte mich an Grieve und ließ den Tränen freien Lauf.
»Ich liebe dich, Cicely. Ich liebe dich, und ich bin bei dir. Halt dich an mir fest. Ich bin deine Liebe. Ich bin dein Anker und dein Felsen. Ich bin deine Zuflucht.« Seine Stimme war leise und tief, ein Schnurren in meinem Ohr, wie
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