Winters Herz: Roman (German Edition)
nochmals, als keine Antwort kam. Sie brachte ihr Ohr etwas näher an die Tür heran, um zu hören, ob jemand in dem Zimmer war.
»Entschuldigen Sie bitte«, sagte eine Stimme hinter ihr. Es war eine Männerstimme, weich und kultiviert. »Tut mir leid, dass ich Sie habe warten lassen. Aber es gibt so viel zu organisieren.«
Als Cass sich umdrehte, sah sie einen großen, schlanken Mann mit dunklen Locken und sorgfältig getrimmtem Dreitagebart, der sein leicht hohlwangiges Gesicht nachzeichnete. Er erwiderte ihren Blick, ergriff ihre Hand und drückte sie. »Heute Morgen ist alles etwas chaotisch«, sagte er. »Kommen Sie bitte herein.«
Er ging voraus ins Büro, und sie nahmen auf beiden Seiteneines mit Papieren überhäuften großen Schreibtischs Platz. Cass starrte das vor ihr stehende Schild mit der Aufschrift Mrs. Cambrey an.
Der Mann folgte ihrem Blick, nahm das Schild weg und legte es in eine Schublade. »Mrs. Cambrey musste leider verreisen«, sagte er. »Ein Notfall in der Familie. Ich bin Mr. Remick – Theodore Remick – und vertrete sie.« Er wandte sich an ihren Sohn. »Und du musst Ben sein.« Er streckte ihm die Hand hin. Ben starrte sie an, sah kurz zu Cass hinüber, dann schüttelte er Mr. Remicks Rechte und lächelte zu ihm auf.
Sie besprachen ein paar Dinge – Bens bisherige Schulleistungen, Unterrichtszeiten, Freizeitaktivitäten –, und Cass fand den Lehrer tüchtig und effizient. Dann stand er auf, und sie folgte seinem Beispiel. Als sie das Büro verließen, wandte Mr. Remick sich nochmals an Ben. »Du kommst in meine Klasse«, sagte er. »Wir werden uns bestimmt prima verstehen.«
In diesem Moment gellte eine Stimme durch den Flur. »Cassandra! Juu-huu, Cassandra, kommen Sie, Sie müssen alle kennenlernen!«
Cass drehte sich um und sah Sally auf sich zukommen, die einen Jungen ungefähr in Bens Alter mit sich zog. Ihr folgten drei weitere Frauen.
»Dies ist meine Ritterin in schimmernder Wehr«, sagte Sally, als sie herankamen. »Cassandra hat mich neulich praktisch aus dem Moor gerettet.« Dann bemerkte sie Mr. Remick, und ihr Gesichtsausdruck veränderte sich. Sie fasste Cass am Arm und zog sie mit sich, wobei ihre Locken Cass’ Schultern streiften. »Oh, Sie haben wirklich Glück«, wisperte sie. »Er ist ein Fuchs, nicht wahr?«
Cass unterdrückte ein Lächeln. Das hatte Mr. Remick bestimmt gehört.
»Kommen Sie, lernen Sie die Mädels kennen. Das hier sind Helen, Dot und Myra. Mädels, dies ist Cassandra.«
»Freut mich, Sie alle kennenzulernen. Ich heiße übrigens nur Cass – das ist die Abkürzung für Cassidy.«
»Cassidy? Na, den Namen hab ich ja noch nie gehört«, sagte Sally.
»Er kommt von …«
»Wie David – David Cassidy.« Sally lachte schallend laut.
»Sie haben den neuen Lehrer kennengelernt«, sagte Myra. Es klang fast vorwurfsvoll. Sie war eine untersetzte Frau in einem geblümten Kleid und hatte langes rotbraunes Haar.
»Er ist zum Anbeißen, nicht wahr?« Sally lachte.
Ein Mundwinkel Myras zuckte. »Er ist ein Geschenk Gottes.«
»Stimmt«, erwiderte Sally. »Wir haben um jemanden wie ihn gebetet.«
Helen lächelte sie an. »Ich wette, dass du ’s getan hast. Du Glückspilz«, sagte sie, und alle lachten.
Cass sah sie der Reihe nach an.
Sally lachte lauter und länger als die anderen. »Stimmt, das bin ich. Und das weiß ich.« Sie lächelte Cass zu. »Bin Lehrerassistentin«, sagte sie. »Hab immer Mrs. Cambrey geholfen, und …«
»Und …«, sagten die anderen im Chor.
»Natürlich hat sie sich als Erste auf ihn gestürzt.« Sally nickte in Cass’ Richtung.
»Ich musste nur einiges wegen Ben mit ihm besprechen. Heute ist sein erster Tag.« Cass sah sich nach ihrem Sohn um, aber der war bereits von einem der Klassenzimmer verschluckt worden. Sie wusste nicht, in welchem er nun war.
»Er ist bestimmt in Damons Klasse«, meinte Sally. »Oder wäre Dämon richtiger?« Sie prustete vor Lachen, und die anderen stimmten ein. »Nun, ich muss jetzt los – neue Bekanntschaften machen. Solange er sein Herz noch nicht an eine andere verloren hat.« Sie sah sich nach Cass um, bevor sie im nächsten Klassenzimmer verschwand. »Vergessen Sie nicht, uns bald mal zu besuchen!« Dann war sie fort, und auf dem Flur wurde es still.Als Cass sich zu den anderen Frauen umdrehte, entfernten die drei sich bereits.
Sie wandte sich wieder den Türen der Klassenzimmer zu, die inzwischen alle geschlossen waren, und überlegte, ob sie
Weitere Kostenlose Bücher