Winters Herz: Roman (German Edition)
…«
»Kinder sind so leicht zu manipulieren, habe ich das nicht erwähnt? Und da ich sein Lehrer bin …« Remick wandte sich Ben zu und lächelte. »Umarmungen sind was für Waschlappen, nicht wahr, Ben? Was deine Zeichnungen betrifft, hältst du dich sehr gut an deine Anweisungen. Die eine mit dem Soldaten und der Lady … wirklich, Ben, du solltest dich der Familie anschließen.Du gehörst dazu. Aber das kannst du natürlich immer noch – wenn du alt genug bist, versteht sich.« Ben wandte den Blick ab.
»Du hast ihm erzählt, dass er sie gesext hat. Dass mein Mann … diese Frau …«
Remick schnaubte. »Worte – nichts als Worte , Cass. Ben hat geglaubt, das hieße gerettet, stimmt’s, mein Sohn?« Er lächelte. »Natürlich würde ich das deinem Mann ohne Weiteres zutrauen: Pete denkt sehr geradlinig, nicht wahr? Er ist kein Typ, der sich Gedanken wegen des Spirituellen macht. Wegen Schuld und Sühne.«
Ben scharrte mit den Füßen.
»Du hast recht, Ben. Ihr müsst weiter.« Remick sah wieder Cass an. Seine Augen waren nicht mehr nur blau; sie waren stahlblau. »Danke«, sagte er, »für dein Vertrauen.«
»Aber was ist mit …?«
»Dir? Was ist mit dir?« Er nickte zu Ben hinüber. »Dein Sohn hat nicht gewusst, was er tat. Er ist frei wie ein Vogel. Das war unsere Vereinbarung, nicht wahr?«
»Aber …«
»Es gibt kein Aber, Cass; es gibt kein Zurück. Dein Sohn hat nicht verstanden, was er getan hat, aber du hast’s gewusst, nicht wahr? Du hast genau gewusst, was du tust.« Er machte eine Pause, dann breitete sich langsam ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. »Liebe, süße Cass. Willkommen in der Familie.«
Kapitel 31
Das Geräusch von tropfendem Wasser kam von überall: von den Hausdächern, vom Kirchturm, von den Bäumen. Es erfüllte Cass’ Ohren. Als sie die Straße entlanggingen, die sich durch das Dorf schlängelte, sah sie, dass der Asphalt jetzt fast schneefrei war; nur an einigen Stellen hielten sich noch dünne Eisplatten, die wie Spinnweben aussahen. Sie vergewisserte sich mit einem Blick über die Schulter hinweg, dass Ben ihr folgte. Das tat er. Ihre Brust war voll eisiger Luft. Sie fragte sich, ob sie auftauen würde, wenn der Frühling kam.
Kapitel 32
Cass ließ sich aufs Sofa fallen, und Ben verschwand in seinem Zimmer. Sie starrte die Wand an. Hinter ihr herrschte jetzt Stille, es gab kein Kratzen oder Klopfen mehr; das einzige Geräusch kam von außen, wo Wasser zu Boden tropfte. Es bedeutete, dass die Zeit verging. Sie hätte Ben mitnehmen, ihn von hier wegbringen sollen, aber das schien keinen Sinn mehr zu haben.
Sie dachte an die Leichen oben im Moor. Alle drei waren ihretwegen zurückgelassen worden – als warnendes Zeichen. Remick würde nicht gefasst werden, konnte nicht geschnappt werden. Die Welt besaß keine Macht über ihn.
Sie brauchte nicht aus dem Fenster zu sehen, um zu wissen, dass das Moor weiterhin tief verschneit war. Dort oben würde es noch eine Zeit lang Winter sein, selbst wenn es in Darnshaw taute. Aber die Straße über die Hügel war vielleicht frei. Sie konnte das Auto vollladen und wegfahren. Sie konnte packen, Ben auffordern, seine Sachen zusammenzusuchen. Irgendwie war es jedoch einfacher, dazusitzen und dem Tauwetter zu lauschen.
Aber Ben stand neben ihr, und er war hungrig. Er zupfte sie am Arm, bis sie aufstand. Im Brotkasten war Brot, obwohl sie sich nicht daran erinnern konnte, wie es hineingekommen war. Sie strich ihm ein paar Butterbrote, legte sie auf einen Teller. Ben verzog missmutig das Gesicht, aber sie schob ihm den Teller hin. Er nahm ihn und ging damit in sein Zimmer zurück.
Cass sah aus dem Fenster, und das Moor schien ihren Blick zu erwidern. Von irgendwoher kam Motorengeräusch, das nahe und zugleich weit entfernt zu sein schien, weil es durch die Topografie des Tals verstärkt wurde. Irgendein großes Fahrzeug, vielleicht ein Geländewagen.
Schaffte sie mit ihrem Auto die Zufahrt zur Straße hinauf, konnten sie Darnshaw verlassen. Aber die Vorstellung zu packen, den Zündschlüssel zu drehen, um den Motor anzulassen, den Wagen durch die kurvige Straße zu lenken … das war ihr alles zu viel.
Sie wusste nicht mehr, wann sie zuletzt zu telefonieren versucht hatte – aber mit wem hätte sie reden können? Niemand würde ihr Anliegen verstehen. Sie hatten ja keine Ahnung.
Cass spürte ein heftiges Brennen in der Magengrube. Sie ging in die Küche, klappte eine Brotscheibe zusammen,
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