Winters Herz: Roman (German Edition)
steckte sie den Mund und kaute das unangenehm trockene Zeug. Dies ist Liebe.
Sie beugte sich über den Ausguss, würgte alles wieder hoch und angelte Brotbrocken aus ihrem Mund.
Als Cass die Augen schloss, war Remick da. Sie konnte die Hitze seines Atems spüren. Sie stand nackt vor ihm, aber das war in Ordnung. Sie schämte sich nicht. Er fuhr ihr mit dem Handrücken über den Arm, als betrachte er sie als seinen Besitz.
Sie hörte ein Klopfen an der Tür und verbarg ihr Gesicht an seiner Schulter. Er war für sie da, er würde stets für sie da sein, jemand, an den sie sich wenden konnte, wenn sie nicht weiterwusste, ein Fels in der Brandung. Das Klopfen wiederholte sich, aber sie sah nicht hin, es tat nur weh, wenn sie hinsah. Sie würde hier in Remicks Umarmung bleiben, die ihr garantierte, dass nichts passieren konnte.
Eine Tür wurde geöffnet und geschlossen.
Remicks Hände lagen auf ihren Schenkeln, um sie zu spreizen. Sie verzog das Gesicht, ließ aber die Augen geschlossen.
»Cass?«
Die tiefe Stimme klang vertraut, und Cass wusste, dass sie sie hätte erkennen müssen, aber irgendwie gelang ihr das nicht.
»Cass, alles in Ordnung mit dir?« Eine Hand auf ihrem Arm, solide, schwer. Nicht wie Remicks. Sie wischte sie weg. Ihr Kopf fiel zurück, und sie öffnete die Augen.
Eine Gestalt, deren Umrisse das Licht in der Diele nachzeichnete, ragte über ihr auf. Cass kannte sie von irgendwoher. Die Gestalt musterte sie von Kopf bis Fuß, ohne etwas zu sagen. Ihr war bewusst, dass ihre Kleidung derangiert, ihre Augen rot gerändert und Lider wie im Halbschlaf schwer sein mussten.
Die Gestalt beugte sich herab, sah genauer hin, befand sie als nicht gut genug. Sie war niemals gut genug gewesen.
»Mami?«
Cass blinzelte. Ben stand neben dem Sofa, zupfte sie am Ärmel. Sie bekam seinen Arm zu fassen, spürte die dünnen Knochen unter seiner Haut: Ben war in Sicherheit. Sie zog ihn an sich und schloss ihn in die Arme. Sein Haar unter ihren Lippen war fettig. Sie musste ihn von hier fortschaffen, dafür sorgen, dass Remick ihn nie mehr zu sehen bekam.
»Cass.«
Sie blickte auf und sah etwas, das keinen Sinn ergab: das Gesicht war das ihres Vaters. Es war auch seine Stimme, jedoch anders, mit den Jahren weicher geworden. Um die Augen hatte er Falten, die früher nicht da gewesen waren, und seine Wangen waren zu Hamsterbacken geworden. Alt. Er war alt, das war es. Sie zog Ben an sich, blickte zu ihrem Vater auf und wartete darauf, dass er alles aufzählen würde, was mit ihr nicht in Ordnung war.
Nur eine Sache. Eine ganz einfache Sache.
»Ist irgendwas passiert?« Er kniete neben ihr, rieb ihren Arm. »Bitte erzähl mir, dass du dich nicht so hast gehen lassen, seit Peter …«
Cass blinzelte. Sie konnte nicht verstehen, was er sagte. Vielleicht meinte er ihr Kleid. Das war’s! Sie sollte in die Kirche gehen, aber sie hatte Schmutz am Kleid. Sie drückte Ben enger ansich, hörte Remicks Flüstern in ihrem Ohr: Ich werde dir dein Leben zurückgeben .
Ihr Vater sprach. »Das ist eine gute Nachricht, Schatz. Ich dachte … ich dachte, du seist fast schon darüber hinweg. Ich hab zwar nie geglaubt, dass er gut ist für dich, das weißt du, aber dich jetzt so zu sehen …« Als er lächelte, bildeten die tiefen Falten neben den Mundwinkel einen Bogen.
Er konnte ihr helfen. Der Hoffnungsschimmer war schwach, aber er war vorhanden: Ihr Vater war ein Mann Gottes. Cass behielt ihn im Auge. Er konnte sie von allem befreien. Sie würden miteinander aufbrechen, er konnte sie beide mitnehmen, und sie würden Darnshaw nie wiedersehen müssen.
»Er ist wieder da, Schatz. Er ist heimgekehrt.«
Cass wusste nicht, was er meinte. Remick? Remick war nie fort gewesen. Er war schon immer hier.
Ihr Vater fuhr ihr mit dem Handrücken über die Stirn, was sie an den Lehrer und seine besitzergreifende Geste erinnerte. Cass wandte sich erschaudernd ab. War dies wirklich ihr Vater? Dies konnte Remick sein, einer seiner Tricks. Sie presste Ben an sich, und ihr Sohn holte erschrocken Luft. Ihre Vater zog an ihrer Hand, aber sie wehrte ihn ab. Sie würde nicht zulassen, dass er ihr ihren Sohn wegnahm. Niemals .
»Er lebt, Glo- Cass . Ich bin gekommen, um dir die freudige Nachricht zu überbringen: Er ist seit einiger Zeit wieder da, aber wir mussten jenseits des Moors warten, bis wir zu dir vordringen konnten. Er kann’s kaum erwarten, dich wiederzusehen, Cass, aber ich habe es für ratsam gehalten, dass er vorläufig
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