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Winters Herz: Roman (German Edition)

Winters Herz: Roman (German Edition)

Titel: Winters Herz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Littlewood
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Kinder, deprimierte Kinder, alles in Schwarz malten.
    Mr. Remick hielt ihr das Bild hin. »Es hat wahrscheinlich nichts zu bedeuten«, begann er, aber Cass hörte nicht mehr zu. Die Hauptfarbe in dem Bild war Gelb. Es zeigte eine Wüste, die sich endlos weit erstreckte. Im Vordergrund war ein Soldat mit aschblondem Haar und sandbrauner Uniform zu erkennen. Sein Gesicht war kreuz und quer durchgestrichen. Cass konnte sehen, wo die Buntstiftspitze das Papier durchstoßen hatte. Ein schwarzer Stift.
    Die Gliedmaßen der Gestalt waren verbogen wie bei einer zerbrochenen Puppe. Aus ihrer Brust spritzte etwas Rotes. Aber der Wüstensand war mit glitzernden blauen Punkten übersät.
    Cass schloss die Augen und erinnerte sich an die Steine, die Pete ihr im Traum dargeboten hatte. Die zu Boden gefallen und dann verschwunden waren. Sie streckte die Hand aus und berührte den Rand der Zeichnung, ohne sie Mr. Remick aus der Hand zu nehmen. So zornig, dachte sie. Sie hatte nie geahnt, dass ihr Sohn so zornig war.
    »Entschuldigung«, sagte er. »Ich dachte, Sie hätten schon ähnliche Bilder gesehen. Offenbar nicht.«
    Cass schüttelte den Kopf, holte tief Luft. »Ben hat seinen Vater verloren.« Das war das erste Mal, dass sie diesen Satz herausbrachte, ohne dass ihr die Stimme brach. »Er war in Afghanistan.«
    »Das tut mir sehr leid.«
    Cass’ Lippen formten das Wort nein, aber sie sprach es nicht aus.
    Blaue Steine. Ein gelber Himmel von gleicher Farbe wie die Erde. Und Rot, dieses viele Rot.
    »Nun, dann ist’s kein Wunder. Dass er seine Gefühle auf diese Weise ausdrückt, ist unter solchen Umständen vermutlich gut für ihn.«
    Cass nickte. Sie erinnerte sich daran, wie Ben vor seinem Videospiel gesessen hatte und das Gamepad seinen Händen entglitten war. Das war einmal sein Lieblingsspiel gewesen   – aber in Wirklichkeit nur wegen Pete.
    Vielleicht hatte er einfach etwas gezeichnet, das er auf dem Bildschirm gesehen hatte.
    Cass fragte sich, was ihr Sohn in diesem Augenblick machte. Zu Damon war er gegangen, um dessen Spiele zu spielen, nicht wahr? Als sie sich auf die Unterlippe biss, spürte sie Mr. Remicks Hand leicht auf ihrem Arm.
    »Er kommt bestimmt zurecht. Er ist ein großartiger Junge, auf den Sie stolz sein können. Er beginnt, sich einzugewöhnen.«
    Als sie sich jetzt umdrehte, war Mr. Remicks Gesicht mit besorgtem Blick nur eine Handbreit von ihrem entfernt. Sie wich zurück. Sie hatte nicht gespürt, dass er so nahe war.
    Er straffte sich ein wenig, und Cass fühlte das Bedürfnis, sich zu entschuldigen. Stattdessen biss sie sich auf die Unterlippe. Sie traute sich nicht, etwas zu sagen. Auch ich habe ihn verloren, dachte sie.
    Als könne er ihre Gedanken lesen, sagte Mr. Remick: »Ben und Sie kommen bestimmt gut zurecht. Sie werden sehen, wie schnell Sie sich einleben.«
    Cass runzelte die Stirn.
    »Lebensmittel horten, einen Bunker bauen, Konserven einlagern   …«
    Sie warf ihm einen erstaunten Blick zu, dann brachen sie beide in Gelächter aus. Cass lachte länger als Mr. Remick. Sie spürte wieder die Leichtigkeit von vorhin, als würde ihr etwas von den Schultern genommen.
    »Ich muss gehen, glaube ich«, sagte er.
    »Sie können eine Kleinigkeit mitessen, wenn Sie möchten.« Cass sah auf die Uhr. Wie konnte die Zeit so rasch verflogen sein? »Ich könnte   …« Sie machte eine Pause.
    »Toast machen?« Er zeigte lächelnd auf den Brotlaib.
    »Ich denke, etwas Besseres könnte ich schon zaubern.«
    »Tut mir leid, ich muss wirklich weiter. Ich habe Aufsätze zu korrigieren.«
    Als Cass ihn hinausbegleitet und die Tür hinter ihm geschlossen hatte, erschien die Wohnung ihr zu still. Sie sah sich in der Diele um. Vor dem Garderobenschrank waren noch Umzugskartons gestapelt, die darauf warteten, ausgepackt zu werden. Ihr Blick fiel auf das Haustelefon an der Wand.
    Es gehörte zur Türsprechanlage: Besucher konnten unten am Haupteingang klingeln, und sie betätigte den Türöffner, um sie einzulassen. Cass runzelte die Stirn. Mr. Remick hatte einfach vor ihrer Wohnungstür gestanden. Darüber hatte sie bisher nicht nachgedacht, aber wie zum Teufel war er hereingekommen?
    Sie erinnerte sich an die andere Wohnungstür mit den Zeitungen darunter. Vielleicht hatte derjenige, der dort wohnte, ihn eingelassen. Mr. Remick war neu in Darnshaw, nicht wahr? Den Code konnte er unmöglich kennen   … es sei denn, er hatte beiseiner Wohnungssuche auch die umgebaute Mühle besichtigt, bevor er sich für

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