Winters Herz: Roman (German Edition)
Die beiden haben stundenlang am Computer gespielt. Ich schwöre, wenn ich das täte, würden meine Hände zu Krallen werden.«
»Wir haben Street Skirmish gespielt, Mom!« Bens Lächeln war wieder da. »Erst war ich der Böse, und dann war Damon der Böse, und wir haben ein Turnier gespielt, und er hat gewonnen, aber viele Runden sind an mich gegangen, stimmt’s, Day?«
Damon bewegte den Kopf, um Ben anzusehen. Sein Blick war klar, als er jetzt zustimmend grinste.
Cass schüttelte den Kopf. Was hatte sie sich nur eingebildet? »Danke, dass er bei Ihnen sein durfte, Sally«, sagte sie. »Möchten Sie etwas trinken, bevor Sie wieder gehen? Etwas zum Aufwärmen?«
Sie drängten hastig herein, und erst als sie Handschuhe und Schals und Stiefel ablegten und ihre nassen Jacken auszogen, begriff Cass etwas, das Sally vorhin gesagt hatte. »Sally«, fragte sie, »haben Sie gesagt, dass das Telefon nicht funktioniert?« Ihre Stimme klang so scharf, dass Sally überrascht aufsah.
»Richtig. Bei starkem Schneefall gibt’s immer mal Störungen. Dauert bestimmt ein paar Tage, bis die beseitigt sind.«
Aber Cass war schon mit großen Schritten in die Diele unterwegs, riss den Telefonhörer von der Gabel. Aus dem Hörer kam kein Freizeichen, nicht mal ein Summen, sondern nur ein schwacher silbriger Ton wie Schneefall.
»Das Telefon funktioniert bestimmt bald wieder. Ich wette, der Störungsdienst arbeitet schon daran. Müssen Sie jemanden anrufen?«
»Das nicht.« Cass ließ den Hörer langsam sinken. »Aber ich müsste beruflich ein paar Dateien verschicken.« Morgen früh ist alles fertig , hatte sie dem Kunden gemailt. Jetzt konnte sie nicht mal E-Mails verschicken, und ihren Kunden anrufen, um ihm die Verzögerung zu erklären, konnte sie ebenfalls nicht. Auch ihr Handy funktionierte hier nicht. Wieso hatte sie die Arbeit nicht gleich heute in Angriff genommen? Sie hätte sie nachmittags erledigen und anschließend wegschicken können. Bestimmt würden die Telefonleitungen bis morgen repariert sein.Und vielleicht würde morgen auch alles andere wieder funktionieren: Die Straße war geräumt, ihr Auto lief einwandfrei, alles klappte wie am Schnürchen. Sie sah aus dem Wohnzimmerfenster. Der im Mondschein geisterhaft leuchtende steile Hügel war nur schwach sichtbar.
»Ach herrje«, meinte Sally. »Aber dafür wird man doch Verständnis haben, nicht wahr? Schließlich können Sie nichts dafür.«
In einer Woche startet der Internetauftritt.
Cass biss sich auf die Unterlippe. Ihr blieb noch eine Woche – nein, nicht so lange. Die Website würde schon früher stehen müssen.
Sally hat recht, bis morgen haben sie die Telefonleitungen bestimmt wieder repariert, sagte sie sich. Alles kommt in Ordnung. Das hatte auch Mr. Remick gesagt. Diese Hand auf ihrem Arm. Alles kommt in Ordnung.
Ben und Damon saßen auf dem Boden und tranken heiße Schokolade. Damon hatte Coke verlangt, aber die hatte Cass nicht im Haus, was ihr einen verächtlichen Blick Damons eingetragen hatte. Ben schien nicht zu merken, wie mürrisch der ältere Junge war. Er zeigte Damon seine Spiele, die er lebhaft schwatzend erläuterte, und beide ächzten laut, als Sally verkündete, sie müssten jetzt gehen. Sie klatschte in die Hände, und Damon rappelte sich mit finsterer Miene auf.
»Sag danke.«
»Wofür?«
»Sei nicht unhöflich. Sag danke für das Getränk und beeil dich.«
Damon richtete seinen Blick auf Cass. Die Iris seiner Augen war dunkel, fast so schwarz wie die Pupillen, und von einem Perlmuttschimmer überzogen. »Danke für die Schokolade«, sagte er.
Cass zog es vor, den Nachdruck in seiner Stimme zu überhören. Als sie den Becher aus seiner ausgestreckten Hand nahm, sah sie in seiner Handfläche eine hässliche Wunde. »Oh, was hast du da? Wie ist das passiert?«
Obwohl sie Sallys Blick auf sich spürte, ergriff sie Damons Hand und drehte die Handfläche nach oben, damit sie die Verletzung sehen konnte. Sie war nicht frisch, auch nicht so tief, wie sie erst geglaubt hatte. Er musste sich vor einiger Zeit geschnitten haben, denn das Rosa der verheilten Haut war etwas dunkler. Damon ließ seine Hand eine Sekunde lang kalt und schlaff in ihrer liegen, dann riss er sie weg.
Cass erwartete, dass seine Mutter etwas sagen, ihn vielleicht wieder ermahnen würde, nicht unhöflich zu sein, aber das tat sie nicht. Als sie sich umdrehte, sah sie, dass Sallys Lippen zu einer schmalen Linie zusammengepresst waren. Die beiden verabschiedeten
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