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Winters Herz: Roman (German Edition)

Winters Herz: Roman (German Edition)

Titel: Winters Herz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Littlewood
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sich so verspäten? Warum hatte sie sich nicht gemeldet? Zu ihrer Überraschung brannten ihre Augen plötzlich vor Tränen. Sie könnte versuchen, die Nummer der letzten Anruferin vom Display ihres Telefons abzulesen, um sie zurückzurufen. Gelang das nicht, könnte sie sich zu Fuß auf den Weg zu Sallys Haus machen. Aber was war, wenn Sally den Weg am Fluss oder irgendeine andere Route wählte? Dann würden sie sich verpassen.
    Im Vorraum waren Stimmen zu hören.
    Cass lief zur Wohnungstür, riss sie auf und starrte ins Leere. Sie blickte nach links und rechts und fragte sich, ob irgendjemand ihr einen Streich spielen wollte.
    Wieder diese Laute. Diesmal erklangen sie hinter ihr.
    Anscheinend eine Kinderstimme   – die eines kleinen Mädchens.
    Sie wartete, weil es ihr widerstrebte, sich danach umzudrehen, und hörte die tiefere Stimme eines Mannes. Gleichzeitig spürte sie, wie die Tür ihr aus den Fingern glitt und ins Schloss fiel.
    Jetzt begann ein neues Geräusch: anfangs nur leise, dann rasch anschwellend, ein Ratschen und Scheppern von Holz aufHolz, Holz auf Metall. Es wurde noch lauter, fast ohrenbetäubend laut.
    Cass drehte sich langsam um und erwartete beinahe, irgendeine große Maschinerie zu sehen, aber sie sah nur ihren eigenen Vorraum, in dem alle Wohnungstüren geschlossen waren   – bis auf die eine direkt vor ihr.
    Sie ging wieder hinein: äußerlich gelassen, aber mit jagendem Herzen. Sie warf einen Blick in die Diele, sah aber nur einen vertrauten Raum, dessen gewölbte Decke sich in den dunklen Fensterscheiben spiegelte. Hier war alles still. Das Geräusch war verstummt.
    Aber nur einen Augenblick lang. Jetzt setzte es wie durch ihre Gedanken ausgelöst wieder ein: das rhythmische Pulsieren einer laufenden Maschinerie, das von Wänden zurückgeworfen wurde. Das Geräusch ließ den Boden unter ihren Füßen vibrieren. Es kam aus Apartment 6, der Wohnung unter ihrer eigenen.
    Cass stand wie erstarrt. Sie konnte kaum noch atmen. Sie sah wieder die liegen gelassenen Stoffpuppen und die leeren Fensterhöhlen, durch die kalte Luft eindrang.
    Dann hörte sie ein Pochen an ihrer Wohnungstür, worauf alles verstummte.
    Sie biss die Zähne zusammen, während sie sich in dem Vorraum umsah. Als das Pochen sich wiederholte, hatte sie Mühe einen leisen Schreckensschrei zu unterdrücken.
    Wieder das Pochen, als klopfe jemand an die Wohnungstür.
    Cass merkte, dass sie wieder atmen konnte; sie gab sich einen Ruck und beeilte sich zu reagieren. Sie riss die Tür auf und sah draußen Ben stehen   – mit erhobener Hand, um noch mal anzuklopfen. Er wich zurück, sein Lächeln verblasste.
    »Meine Güte«, sagte Sally, »alles in Ordnung mit Ihnen? Sie sehen schrecklich aus.«
    Cass hatte nur Augen für Ben. Er hatte so glücklich ausgesehen, als sie die Tür geöffnet hatte; jetzt lag eine Spur von Trauerin seinem Blick. Daran war sie schuld; ihretwegen war er wieder traurig.
    »Tut mir leid, dass wir uns verspätet haben«, schwatzte Sally. »Wir haben gar nicht auf die Zeit geachtet, nicht wahr, Jungs? Ich wollte anrufen, aber das Telefon funktioniert anscheinend nicht. Bei solchem Wetter passiert das immer. Das hätte ich wissen müssen. Und diese beiden   … Sie können sich gar nicht vorstellen, wie lange sie bis hierher gebraucht haben. Und wie viele Schneebälle ich unterwegs abwehren musste   …«
    »Haben Sie etwas gehört?«
    »Was denn? Ist irgendwas passiert?«
    Cass musterte sie forschend. Auf Sallys Gesicht zeichnete sich Verwirrung ab   – und noch etwas anderes, vielleicht Verdruss? Cass fiel auf, dass sie ihre Verspätung nicht zu bedauern schien. Sie hatte es keineswegs eilig. »Schon gut«, sagte sie steif. »Hauptsache, er ist wieder da, nicht wahr, Ben?«
    Bens Blick war unverwandt auf seine Mutter gerichtet. Er zuckte mit den Schultern, und das ärgerte Cass, machte sie wirklich wütend, aber sie schluckte ihren Ärger hinunter. Sie konnte Sally nicht gleich wieder wegschicken, nachdem sie den langen Weg bis hierher auf sich genommen hatte, und dieser Ausdruck auf Bens Gesicht   … er hatte Spaß gehabt, zumindest bis er heimgekommen war.
    Dann fiel ihr Blick auf Damon, der hinter seiner Mutter stand. Der Junge starrte sie durch seine in die Stirn fallenden schwarzen Haare an.
    »Hallo, Damon«, sagte sie demonstrativ. »Habt ihr euch gut amüsiert?«
    Keine Reaktion. Es war, als hätte sie nichts gesagt.
    Sally antwortete an seiner Stelle. »Wir haben uns wunderbar amüsiert.

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