Winters Herz: Roman (German Edition)
Er bot ihr seinen Arm an, und sie gingen miteinander zur Straße hinauf.
Cass war sehr wohl bewusst, dass sie untergehakt gingen. Sie spähte die Straße entlang und hielt Ausschau nach Sally und den Jungen, die aber längst fort waren. Sie merkte, dass ihr Bens Hand in ihrer fehlte.
»Cass, alles in Ordnung mit Ihnen?«
Seine Stimme klang so warm. Cass schloss die Augen. Ganz ungewohnt, dass jemand sich nach ihr erkundigte, um sie besorgt war. Das hatte sie nicht mehr erlebt, seit …
Sie hatte plötzlich Tränen in den Augen und merkte, dass sie kaum noch Luft bekam.
»Hier, setzen Sie sich.« Er führte sie ein Stück weiter, wischte Schnee von einer niedrigen Stützmauer und setzte sie darauf.Als Cass die Augen öffnete, rieb er ihre Hände, als sei sie ein Kind mit kalten Fingern.
»Alles in Ordnung. Alles bestens. Er ist ein guter Junge, Cass. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Überlassen Sie die heute Abend mir, hmm? Nur für diesen einen Abend.« Seine Stimme war kaum lauter als ein Flüstern. Seine Finger waren warm auf ihren. »Ist Ihnen schwindlig? Wir könnten in die Schule zurückgehen.«
Diese dunklen Flure, dieser grünliche Nebel. Cass schüttelte den Kopf. »Danke, mir geht’s gut. Ich weiß nicht, was das eben war.«
»Ich schon.«
»Wirklich?«
»Ihnen fehlt ein Steak à la Theo Remick. Das ist die Ursache aller Probleme.«
»Oh?« Sie lachte.
»Besser?« Er nahm ihre Hand und hielt sie kurz in seiner, bevor er Cass hochzog. Trotz seines schlanken Körperbaus waren seine Arme überraschend kräftig. »Ihre Kutsche steht bereit, Ma’am. In Wirklichkeit tut sie’s nicht. Aber man kann nicht alles haben, und ich verspreche Ihnen, dass das Steak ziemlich gut sein wird.«
Cass lächelte, strich sich Haare aus dem Gesicht. In einiger Entfernung entlang der Straße hörte sie lärmende Stimmen – vielleicht von den Jungen. Ben hatte bestimmt schon Spaß mit ihnen. Mr. Remick hatte recht. Das Abendessen bei Sally würde Ben guttun und ihm helfen, sich rascher einzugewöhnen. Nein, wegen ihres Sohns brauchte sie sich keine Sorgen zu machen.
Das alte Pfarrhaus war ein geducktes schwarzes Gebäude mit schmalen Fenstern und einem dreieckigen Ziergiebel über dem Eingang. Es war hässlich, aber sobald Cass einmal darin war, fand sie die Küche mit an der Decke hängendem Kupfergeschirrund mattweißer Wandfarbe, die stellenweise abbröckelte, ganz gemütlich. Sie dachte an die Einbauküche in der Mühle – in ihrer Neuheit spartanisch und für den großen Raum etwas zu klein, um behaglich zu wirken. Dort war alles viel zu sauber und ordentlich. Hier lagen Hefte auf dem Tisch, als sei Mr. Remick dabei gewesen, sie zu korrigieren. Er schob sie zusammen und legte sie in ein Regal, das von Schulbüchern überquoll.
Dann entkorkte er eine Flasche Rotwein und gab ihr ein Glas. »Trinken wir darauf«, sagte er, »dass Sie sich rasch eingewöhnen.« Er stieß mit ihr an. Cass roch den Wein, bevor er ihre Lippen berührte: würzig und süß. So schmeckte er auch, und seine Wärme erfüllte sie behaglich.
Mr. Remick jedoch verzog das Gesicht.
»Mir schmeckt er«, sagte Cass. »Nicht das Übliche.«
»Gut. Mal sehen, was ich als Nächstes verpatzen kann.«
»Sie verpatzen nichts.« Die Worte waren heraus, bevor sie richtig über sie nachgedacht hatte. Wirkte der Wein etwa schon? Oder seine blauen Augen, die sie unverwandt ansahen? »Was hat Jessica über Sie gesagt?«, fragte sie unvermittelt.
Er schnitt eine Grimasse, und Cass verfluchte sich im Stillen. Wieso hatte sie das gefragt? Sie hatte nicht einmal bewusst daran gedacht. Sie drehte ihr Weinglas hin und her, bewunderte die rubinroten Lichter.
»Nach Einzelheiten hab ich nicht gefragt«, antwortete er. »Sich mit den Augen seiner Schüler zu sehen, ist nicht immer angenehm.«
Cass erinnerte sich daran, dass Ben in seiner Gegenwart immer leuchtende Augen bekam. »Oh, das glaube ich nicht.«
»Lauter fantastische Kids. Es wird traurig sein, sie verlassen zu müssen.«
»Verlassen?«
»Wenn Mrs. Cambrey zurückkommt.«
»Bleiben Sie denn nicht trotzdem?«
»Vielleicht – die Schule braucht einen weiteren Klassenlehrer, glaube ich. Und ich bleibe auf jeden Fall noch eine Weile am Ort. Dieses Haus ist mein Heim.«
»Aber Sie sind ein so guter Rektor.«
»Nett, dass Sie das sagen. Es nützt natürlich, diese Gegend zu kennen. Dazu einige der Kinder.«
»Und die Mütter?« Wieder hatte Cass nicht gewusst, dass sie das
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