Winters Herz: Roman (German Edition)
– und war sich dabei bewusst, dass sie ihn noch nie beim Vornamen genannt hatte. Bisher war er immer »Mr. Remick« gewesen.
»Theo ist richtig.«
»Ich möchte, dass du mich küsst.«
Diesmal drängten sie sich aneinander und machten nur eine winzige Pause, bevor ihre Lippen sich berührten. Diesmal warder Kontakt nachdrücklich, seine Lippen pressten sich auf ihre, öffneten sie, der Kuss wurde inniger, eindringlicher, vereinnahmte sie, und die Berührung schickte eine Hitzewoge durch Cass’ Körper. Sie spürte seine Zungenspitze. Sie öffnete den Mund, begegnete ihr mit der eigenen, zog ihn enger an sich. Er beugte sich über sie, und seine Hand glitt unter ihren Rücken.
Er hob den Kopf. Er sprach nicht gleich, blickte nur auf sie herab, wobei sein Gesicht im Schatten kaum zu erkennen war. »Du bist eine ganz besondere Frau, Cass«, sagte er.
Sie schüttelte den Kopf und sah weg.
»Und du weißt es nicht mal.« Er richtete sich auf, seine Hitze nahm ab, und die kühle Luft auf Cass’ Haut fühlte sich gelinde enttäuschend an.
Sie setzte sich ebenfalls auf, sah auf die Uhr. »O Gott, ich muss los und Ben abholen.«
»Natürlich. Hör zu, soll ich dich begleiten?«
Sie lächelte und stand auf.
»In der Tat eine ganz besondere Frau«, sagte Mr. Remick, als er auf die Beine kam.
Cass spürte, wie die kalte Luft sie einhüllte, aber der Wein und Theo Remicks Berührung wärmten sie weiter, als sie auf die Straße hinaustrat. Ihre Atemwolken vermengten sich. Sie merkte, dass es gut war, mit jemandem Arm in Arm zu gehen, nicht allein zu sein. Sie bogen miteinander in Sallys Einfahrt ab. Mr. Remick klopfte an, und sie wechselten einen amüsierten Blick, als drinnen ein einladendes Kreischen ertönte.
Mr. Remick ging voraus. Die Jungen, deren Augen und Zähne im Lampenlicht blitzten, saßen im Kreis zusammen.
»Wir essen gerade zu Abend.« Sally drängte sich geschäftig mit einem Tablett mit Käsestücken und Biskuits zwischen ihnen hindurch. »Möchtet ihr mitessen?«
»Sehr gern.« Mr. Remick setzte sich in den Kreis, und als Casssich zwischen Ben und ihn zwängte, fiel ihr auf, wie ruhig ihr Sohn jetzt wirkte. Die Kinder saßen mit untergeschlagenen Beinen eng beieinander. Als Sally das Tablett in ihrer Mitte abstellte, stürzten sie sich darauf und stopften sich mit Biskuits voll.
»Na, wie geht’s meinen Jungs?«, fragte Mr. Remick.
Sie starrten zu ihm auf.
»Wir haben geteilt«, sagte Ben.
»Wirklich? Das ist wunderbar. Teilen ist gut.«
»Wir haben Spiele gespielt«, warf Damon ein.
»Spiele sind auch gut«, sagte er mit einem flüchtigen Lächeln zu Cass hinüber. Sein Oberschenkel lag warm an ihrem. »War der Abend nett, Ben?«
Ben nickte wortlos, schob sich mit der Handfläche einen Cracker in den Mund.
»James, willst du nicht den Käse herumreichen«, sagte Mr. Remick zu dem Jungen ihm gegenüber. Der Angesprochene sprang auf, griff sich den Käseteller und bot ihn an.
»Oh«, sagte Cass, »du hast dich an der Hand verletzt.« Quer über seine Handfläche verlief eine halb von dem Teller verdeckte rote Linie. Sie glich der, die Cass an Damons Hand aufgefallen war.
Als er ruckartig den Kopf zur Seite drehte und sie anfunkelte, musste Cass plötzlich an den dunklen Schulkorridor, die Jungen mit den leuchtenden Augen denken. Dann sah Jamie zu Mr. Remick hinüber. »Ich bin beim Fußballspielen hingefallen«, sagte er.
Der Lehrer wandte sich an Sally. »Wundervoller Aufstrich. Sie haben sich wieder mal selbst übertroffen.«
Cass sagte: »Danke, Sally – Ben und ich müssen nach Hause, glaub ich.«
»Nichts zu danken. War mir ein Vergnügen, Sie alle hier zu haben. Jederzeit gern wieder.«
Mr. Remick stand auf, half Cass aufzustehen, zog dann Benhoch. Diesmal beschwerte er sich nicht darüber, dass er gehen musste, sondern wartete still an Mr. Remicks Hand. »Kommen Sie auch mit?«, fragte er. Aus seiner Stimme sprach kein Groll, nur Neugier.
»Nicht diesmal. Ich begleite euch nur ein Stück.«
Sie verabschiedeten sich. Als der Kreis aus kalten Augen sich auf Cass konzentrierte, erschauderte sie, aber als sie Mr. Remick und Ben ansahen, waren sie wieder ganz normale Jungen, die einem Freund und ihrem Lehrer Lebewohl sagten. Ich bin es, die hier nicht hereinpasst, dachte Cass, nicht Mr. Remick und auch nicht Ben.
Als Mr. Remick erneut ihren Arm nahm, hatte sie das Gefühl, mit einem Fremden untergehakt zu gehen. Sie ließ sich mittreiben, hörte nur halb, worüber ihr Sohn
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