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Winters Knochen

Winters Knochen

Titel: Winters Knochen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Woodrell
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Ein paar Mal die Woche drohte die Busfahrt außer Kontrolle zu geraten, dann hielt Mr. Egan an und verpasste jemandem eine Ohrfeige.
    »Vielleicht sollten wir was zu fressen rauslegen, Ree«, meinte Harold.
    »Für die Kojoten? Nein. Mach dir keine Sorgen. Die werden dich schon nicht fressen.«
    »Erst recht nicht, wenn wir was rausstellen.«
    »Erschieß sie einfach«, schlug Sonny vor. »Die kommen angeschnüffelt, und dann schießt du ihnen zwischen die Augen.«
    »Aber die sehen doch wie Hunde aus«, widersprach Harold. »Ich find Hunde okay, auch wenn sie hungrig sind.«
    »Wenn man ihnen was zu fressen rausstellt, lockt man sie an – und dann kommen sie näher und werden abgeknallt, Harold. Legt bloß nichts zu fressen raus, verdammt. Du denkst, du tust was Gutes, aber das tust du nicht. Du bringst sie nur in Schussweite, das ist alles.«
    »Aber du hörst doch, wie hungrig sie sind.«
    Auf dem nächsten Bergkamm durchbrach der Bus den Horizont und kam schneller auf sie zu, als ihnen lieb war. Mr. Egan hielt direkt neben ihnen, klappte die Tür auf und sagte: »Los, beeilt euch.«
    »Kann ich heute mitfahren?«
    Mr. Egan war etwa fünfzig, ein sitzender Haufen Fleisch mit einem Doppelkinn unter dichten grauen Bartstoppeln und dünnen blassen Haaren. Er hatte einschlimmes Bein, das er nachzog, und wenn man ihn danach fragte, antwortete er: »Wenn die alte Brillenschlange Orrick dich fragt, ob du mit ihm auf die Hirschjagd gehen willst,
tu es nicht
.« Er lächelte Ree an und zog die Tür hinter ihr zu.
    »Gehst du wieder in die Schule?«
    »Nein. Ich kann nur ’ne Mitfahrgelegenheit gebrauchen.«
    »Okay. Ich hab dich schon vermisst.«
    »Ehrlich?«
    »Ja. Hätte beinah mit dem Busfahren aufgehört, als du nicht mehr gekommen bist.«
    »
Lötzinn

    »Kein Blödsinn, Prinzessin. Ohne dich ist es einfach nicht mehr dasselbe.«
    Ree setzte sich hinter Mr. Egan. Sie grinste die Jungs auf der anderen Seite des Gangs an, hielt sich einen Finger an den Kopf und drehte damit Kreise neben ihrem Ohr. Der Bus schoss in ziemlichem Tempo über die Straße. »Sie wollen mir doch wohl nicht an die Wäsche, oder?«
    »Sei nicht eklig, Ree.«
    »Oh. Irgendwie schade, dass Sie das so endgültig sagen.«
    »Ich hab dich rumkutschiert, seit du sechs bist.« Der Bus fuhr derart schnell, dass die Bäume in Schlieren vorbeiströmten. Ihre langen Morgenschatten durchbrachen das Licht, schwirrten in den Augen der Kinder, es wurde hell, dunkel, hell, dunkel. »Ich bin glücklich geschiedenund habe eine schwache Pumpe. Bring mir das nur ja nicht durcheinander.«
    »Okay, und danke.«
    »Prinzessin, ich weiß verdammt gut, von hier draußen ist fast alles zu weit zum Laufen.«
    Die Schule bestand aus zwei Gebäuden, die beide riesigen Reparaturwerkstätten ähnelten, Wellblechbaracken, die in mehrere Klassenzimmer und Büros unterteilt waren. Die größere Baracke war die Junction School, weiß mit schwarzem Dach. Darin befanden sich die Jahrgangsstufen unterhalb der High School. Die Rathlin Valley High School stand auf der anderen Seite des Schulhofs, hatte einen eigenen Parkplatz und war rostrot mit weißem Dach. Der Schlachtname für alle Klassen lautete
Fighting Bobcats
, und auf das Hinweisschild neben der Straße war ein großes Bild mit mehreren Luchsen gemalt, die mit ausgefahrenen Krallen rote Striemen in den blauen Himmel rissen. Der Bus hielt neben den anderen Bussen gleich hinter der Tafel.
    »Prügelt euch nicht, wenn ihr es verhindern könnt«, sagte Ree. »Aber wenn einer von euch beiden verhauen wird, dann solltet ihr besser beide blutig nach Hause kommen, verstanden?«
    Ree überquerte den Schulhofschnee in Richtung Hauptstraße, die schneefrei war und nach Norden führte. Sie sah Mädchen, die sie kannte und die sich mit Schulbüchern unterm Arm und dicken Bäuchen vor dem eigens für sie bestimmten Nebeneingang versammelt hatten. Sie sah Jungs, die sie kannte und die neben ihrenPick-ups hockten, um sich eine Kippe zu teilen. Sie sah Pärchen, die sie kannte und die sich gegenseitig mit feuchten Küssen bedachten, damit sie bis zur Mittagspause satt und treu waren. Sie sah auch Lehrer, die sie kannte und die ihr mit traurigem Blick hinterherschauten, als sie den Schulhof verließ und sich mit ausgestrecktem Daumen an die Straße stellte. Sie winkte kurz Mrs. Prothero und Mr. Feltz zu, schaute aber nicht wieder zur Schule zurück.
    Die frostige Landschaft rahmte sie so mitleiderregend ein, dass sie schon nach ein paar

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