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Winters Knochen

Winters Knochen

Titel: Winters Knochen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Woodrell
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blutige Nase oder blaue Flecken auf der Brust geben. Doch das schien nur der Beweis dafür zu sein, dass sich Unheil in der Welt breitmachte, wenn schon ein Techtelmechtel mit einem Fremden im Heu zu ausgeschlagenen Zähnen oder Brandwunden am Handgelenk führte, die von Zigaretten stammten.
    »Ich glaub, ich such mal nach deinem Make-up. Heute gibt’s einen Anstrich.«
    »So wie früher.«
    »Ja.«
    Aber da waren noch jene butterwarmen Seiten der Nächte, die sie so mochte und vermisste. Die süßen Anfänge, die wer weiß was versprachen, der Duft, die Musik, der Lärm in den Bars, wenn Namen gerufen wurden, die man vielleicht nie richtig verstand. Der Spaß, wenn zwei Männer bei ihrem Anblick munter wurden, im selben Augenblick vortraten und um sie warben, der Erste flüsterte in das eine Ohr, der Zweite ins andere. Die Lust zu tanzen, Hüfte an Hüfte, die fremden Hände, die über ihre zerzausten Haare und zarten Kuppen fuhren, Hände, so gut wie Zungen, an den dunklen Stellen dieser whiskeygetränkten Augenblicke. Worte waren ein Bedürfnis, nach dem sie hungerte, manchmal klangen sie so wahrhaftig, dass sie sie von ganzem Herzen glauben mochte, bis das nackte Keuchen kam und der Mann nach seinen Stiefeln suchte, die auf dem Boden lagen. Dieser Augenblick raubte ihr stets den Glauben an Wörter und Männer, an jedes Wort und jeden Mann.
    »Halt still, du bist fast trocken.«
    Wenn Dad im Knast war, lautete die Regel, keinen Kerl länger als zwei Nächte zu sehen. Eine Nacht vergeht wie ein Furz, zwei sind wie ein kurzer Stich, doch nach drei gemeinsamen Nächten ist da plötzlich ein Schmerz, und um den zu lindern, braucht es die Nächte vier und fünf und so weiter und so fort. Dann kommt das Herz insSpiel, wirbelnde Träume und Qualen lassen nicht auf sich warten. Im Herzen werden Träume zu Ideen.
    Ree ging in Moms Zimmer und schaltete das Licht an. Die Wände waren seit Großmutters Tagen rosa tapeziert. Es gab eine hübsche Ankleidekommode mit Spiegel, die Tante Bernadette gehört hatte, bevor die Springflut sie auf der unteren Brücke erwischte und nicht mal ihre Leiche hergab. Über dem Bett hing ein staubiges, schielendes Bild von Onkel Jack, der Khe Sanh und vier Ehen überlebt hatte, um schließlich auf einer Rollschuhbahn an etwas zu sterben, das er geschnupft hatte. Das Bett hatte Messingteile, fette Messingröhren an Kopf- und Fußende. Die rote Bettdecke war zur Seite geworfen. Ree war in diesem Bett gezeugt worden, und sie hatte Mom und Blond Milton darin erwischt, wie sie an einem langsamen, verschwitzten Vormittag Sonny gezeugt hatten. Mom hatte da schon nicht mehr all ihre Sinne beisammen und schleuderte einen Aschenbecher nach Ree und schrie: »Du lügst! Du lügst! Das kann nicht sein!«
    »Kann dein Make-up nicht finden, Mom. Ich mach dir ein andermal das Gesicht schön.«
    Mom schaukelte in der Wärme neben dem Kanonenofen, betastete ihr Haar und schien sie nicht gehört zu haben. Sie sah durch die Küche zum Fernseher hinüber, linste an ihren beiden Söhnen vorbei und legte den Kopf schräg.
    »Ich frag mich, wo der Hund die Rüstung herhat.«

KOJOTEN JAULTEN bis nach Sonnenaufgang, jaulten von weit entfernten Felsen und Bergkämmen ins Tal hinunter bis zum Ende der Fahrspur, wo der Schulbus hielt. Ree, Sonny und Harold standen neben der schwarzen Teerdecke, die überallhin führte, neben weißen Dämmen, die die Schneepflüge aus beiseitegeschobenem Schnee errichtet hatten. Der Morgen war klar, aber knochenkalt, und vielleicht hatte das Wetter die Kojoten daran gehindert, das zu tun, was sie sonst nachts taten, sodass sie deshalb am Tag weitermachten. Ree ließ die Jungs eng beieinanderstehen, sah den Atem, der ihnen aus den Mündern stieg wie diese kleinen Wolken, die in Cartoons Gedanken tragen. Harolds Wolke sagte vielleicht gerade: »Hoffentlich fressen die keine Menschen.« Und Sonnys: »Gibt’s noch was von dem Sirup?«
    Die Junction School lag sechs Meilen entfernt, direkt an der Hauptstraße, die nach West Table führte. Der Bus war so wie ein großer, nur abgeschnitten, nicht mal die Hälfte. Er war gelb, mit schwarzen Warnhinweisen an Kühlerhaube und Heck, und transportierte jeden Tag vielleicht ein Dutzend Kinder oder mehr. Er hielt an unbefestigten Wegen, schmalen Pfaden und bestimmten Lichtungen zwischen den Bäumen. Viele der Kinder waren auf ungeklärte Weise miteinander verwandt, doch das hieltsie nicht davon ab, sich zu beschimpfen und zu prügeln und so weiter.

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