Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Winters Knochen

Winters Knochen

Titel: Winters Knochen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Woodrell
Vom Netzwerk:
schüttelte den Kopf. Ihre Gesichtszüge fielen zusammen. »Ich hasse so was.«
    »Was? Was ist denn daran so furchtbar, dass du so ein Gesicht machst?«
    »Es ist einfach so traurig, Mann, so verdammt traurig, dich so reden zu hören. Er lässt dich irgendwas nicht machen, und dann machst du’s auch nicht.«
    Gail ließ sich steif wie ein Ast aufs Bett fallen und drückte ihr Gesicht flach ins Laken.
    »Wenn man verheiratet ist, ist alles anders.«
    »Muss wohl. Du hast dir früher nie was gefallen lassen. Von keinem.«
    Gail drehte sich um und kam hoch, um sich auf die Bettkante zu setzen. Ned gluckste und ruderte mit seinen winzigen Fäusten in der Luft herum. Gail ließ den Kopf sinken, und Ree beugte sich vor, griff mit den Fingern zwischen ihre langen roten Locken, zog Strähnen durch die Fingerspitzen, beugte sich noch weiter vor und atmete ihren Duft ein.
    Mit leiser Stimme fragte Gail: »Was tust du da?«
    »Ich zupfe Kletten, Schätzchen. Du hast echt einen Haufen davon.«
    »Nein, hab ich nicht.« Sie schob Rees Hand fort, schaute aber nicht auf. »Ich hab keine Kletten. Und Ned und ich brauchen jetzt unseren Mittagsschlaf. Ich bin echt müde. Bis nächstes Mal, Liebes.«
    Ree stand langsam auf, trat mit dem Stiefel gegen den Stuhl, zog die grüne Kapuze über den Kopf und sagte: »Ich bin immer auf deiner Seite, das weißt du.«
    Als Ree aus der Tür herauskam, stand Floyd an der Ecke der Veranda und pinkelte in hohem Bogen an die Scheunenwand. Der Urin schlug dampfend gegen das Holz, heißer blasiger Schaum lief die Wand hinunter in eine Schneewehe, wo er gelbsüchtige Löcher und Linien hinterließ. Floyd pinkelte weiter, zitterte in seinem kurzärmligen Hemd, zog die Schultern gegen den Wind ein und fragte: »Was meinst du, wird’s heute noch kalt?«
    »Wenn nicht heute, dann heute Nacht.«
    Dampf stieg in leichten Wölkchen von der Scheunenwand auf, und Floyd sah über die Schulter hinweg zu Ree hinüber. »Du glaubst, du weißt Bescheid, dabei hast du keinen blassen Schimmer. Ich mein, versuch’s doch selber mal. Lass dich volllaufen und schau, ob du am Ende nicht mit jemandem verheiratet bist, den du kaum kennst.«
    »Ich kenne sie sehr gut.«
    »Genau, aber lass dich mal einen Abend so richtig volllaufen und lass dir ’n Kind machen. Ehrlich.«
    »Nein, danke. Ich hab schon zwei. Mom nicht mitgerechnet.«
    Floyds Wasserstrahl sank immer weiter in sich zusammen, bis er die letzten Tropfen abschüttelte.
    »Niemand hier will gemein sein«, sagte er. Er hüpfte ein wenig, als er sich den Reißverschluss zuzog. »Ist nur so, dass niemand hier alle Regeln kennt, das macht es so schwierig.«

REE FOLGTE EINEM WILDWECHSEL durchs Unterholz den Hügel hinauf, sie überquerte die kahle Kuppe und stieg hinunter in einen Wald voller Fichten und Fichtenduft und der frommen Stille, die Fichten erschaffen. Fichten mit niedrigen Ästen, die sich über frischen Schnee streckten, schufen ein schützendes Dach für die Seele, viel besser, als Kirchenbänke und Kanzeln dies jemals vermochten. Ree hatte Zeit. Sie ließ sich auf einen großen Denkerstein zwischen den Bäumen nieder und setzte sich ihren Kopfhörer auf. Sie wollte die importierten Klänge mit der Szenerie in Einklang bringen und entschied sich für
Abend in den Bergen
. Doch diese Winterbergklänge waren zu perfekt, also wechselte sie zur
Morgendämmerung in den Tropen
. Von den Ästen über ihrem Kopf rieselte der Schnee durch das Sieb der Fichtennadeln pulvrig zu Boden, während Ree warme Wellen anbranden hörte und bunte Vögel und vielleicht auch Affen. Sie konnte den Duft der Orchideen und Papayas hören, die unterschiedlichen Fische im flachen Wasser.
    Ree blieb dort sitzen, bis der große Denkerstein ihren Hintern kalt werden ließ.

GRAU VERNAGELTE DEN HIMMEL und sämtliche Fenster. Mom beugte ihren Kopf in die Küchenspüle, ihr Haar stieg in Schwaden auf und füllte das Becken. Sie schien sich in einer Episode größten Vergnügens zu verlieren, ergab sich ganz der Freude, von ihrer Tochter verwöhnt zu werden, und schnurrte regelrecht, während Rees Finger ihre Kopfhaut schrubbten und einen Schopf aus weißem Schaum aufrührten, der mit Wasser aus Großmutters uralter Limonadenkanne ausgespült wurde. Rees Finger waren kräftig und kitzelten das Blut an den Haarwurzeln. Die Jungs saßen in Flickendecken gehüllt auf dem Küchentresen, nah genug, um nass zu werden, und schauten Ree zu, wie sie schrubbte, schäumte, spülte. Ree sah immer

Weitere Kostenlose Bücher