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Winters Knochen

Winters Knochen

Titel: Winters Knochen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Woodrell
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Minuten eine Mitfahrgelegenheit hatte. Ein Lieferwagen von Schwan’s Food hielt an, und der Fahrer wiederholte mehrmals, dass er eigentlich niemanden mitnehmen dürfe, aber herrje, dieser Wind, dieser Wind bläst alle Vorschriften beiseite, oder nicht? Sie fuhren an baufälligen Siedlungen wie Bawbee, Heaney Cross und Chaunk vorbei, ließen die Abzweigung nach Haslam Springs hinter sich und kamen zur Straßengabelung oberhalb von Hawkfall. Dort trennten sich ihre Wege, Ree stieg aus und sah dem Laster hinterher, der nach Norden weiterfuhr.
    Die Hawkfall Road war jenseits des Kamms nicht geräumt worden. Ree ging den großen steilen Hügel hinunter und stapfte durch ein einsames Paar schlingernder Reifenspuren, die in den Schnee gedrückt waren. Die einzelnen Häuser der Siedlung kauerten in der Senke und an den umliegenden Hängen. Der neue Teil von Hawkfall galt den meisten als alt, und der alte wirkte uralt und auf unheimliche Weise heilig. Die alten und neuen Häuserwaren großteils aus Ozark-Gestein. Bei einer bitteren Abrechnung waren vor langer Zeit die Wände der alten Häuser zerstört und die Steine wild auf den Feldern verstreut worden. Die Steine lagen immer noch dort, wo sie gelandet waren, ragten aus einer Fläche von drei Morgen Land wie vereinzelte weiße Buckel. Die neuen Häuser ließen Rauch aus den Kaminen steigen und hatten Fußspuren im Hof.
    Scharfer blauer Wind brachte das Wetter zurück an den Himmel, in Sichtweite ballten sich dunkle Wolken, die frostiges Nass mit sich führten. Ein fetter brauner Hund kam durch bauchtiefen Schnee angewatschelt, um Ree zu kontrollieren, er schnüffelte und bellte, bis drei weitere Hunde über die Straße sprangen und um sie herumhüpften. Während Ree an der Weide mit den alten zerfallenen Mauern vorbeilief und ins Dorf kam, wurde sie von den Kötern begleitet. Die niedrigen Steinhäuser hatten schmale Veranden und hohe, enge Fenster. Die meisten hatten noch zwei Türen, in Übereinstimmung mit gewissen Lesarten der Bibel, eine Tür für Männer, die andere für Frauen, obwohl sich niemand mehr so recht daran hielt. Gleich am ersten Haus kam eine Frau zur Männertür heraus auf die Veranda und rief: »Wer bist du?«
    Ree stand auf der Straße in einer Schneewehe, die ihr bis an die Knie reichte. »Ich bin eine Dolly. Ree Dolly.«
    Die Frau war jung, vielleicht fünfundzwanzig, trug einen Bademantel mit Batikmuster über einem grauen Wollpullover, schwarzen Jeans und Stiefeln. Ihr Haar war fast schwarz und kurz geschnitten, was schick aussah,und sie trug eine dicke Brille, die das Schicke an ihr richtig süß werden ließ. Hinter ihr lief die Stereoanlage, ein Song mit klimpernden Gitarren und wilden Pferden, die frei im Text herumliefen. »Ich glaub nicht, dass ich dich kenne«, sagte die Frau.
    »Ich bin aus Rathlin Valley. Unten am Bromont Creek. Wissen Sie, wo das ist?«
    »Könnte auch in Timbuktu sein«, entgegnete die Frau. »Was willst du hier?«
    »Mein Dad, Jessup, ist ein Kumpel von Little Arthur, und ich muss ihn finden. Ich war schon mal hier, ich weiß, in welchem Haus Little Arthur wohnt.«
    Die Frau zündete sich eine krumme gelbe Zigarette an und schnippte das Streichholz in den Schnee. Sie behielt Ree im Auge, während ihr Atem und der Rauch weiß in die Luft wirbelten. Die Hunde waren die Treppe heraufgekommen und schnupperten an ihren Füßen herum, bis sie sie mit den Stiefeln fortschubste. »Du bleibst da stehen, ich hole meinen Hut«, sagte die Frau. »Und schnüffle ja nicht herum.«
    Die Häuser auf den zerklüfteten Hügelflanken sahen aus wie Krümel in einem Bart und schienen auch genauso schnell herunterpurzeln zu wollen. Allerdings standen sie bereits seit zwei, drei Generationen dort, die Schneemassen, der sintflutartige Regen und die tosenden Frühjahrsstürme hatten sich bislang vergeblich bemüht, sie loszurütteln und hinunterstürzen zu lassen. Schmale Fußpfade wanden sich zwischen den Bäumen die Hügel hoch, an Felsvorsprüngen vorbei, von Haus zu Haus, undbei besserem Wetter fand Ree, dass Hawkfall wie verzaubert wirkte, wenn ein Ort, der nicht gerade einladend war, überhaupt verzaubert wirken konnte. Auf der Straße waren die Spuren eines Lasters zu sehen, der die Senke in die entgegengesetzte Richtung verlassen hatte. Das war zwar der längere Weg, um zu den anderen Ortschaften zu gelangen, aber es gab keine Schneeberge zu überqueren, bevor man zur asphaltierten Straße gelangte.
    Die Frau trat wieder aus der Tür

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