Winters Knochen
durch den Ort führte, rostende Pech-Trophäen aus vielen Jahrzehnten erstreckten sich bis zum Horizont. An jeder Straßenecke hingen Schilder, auf denen Hausratverkäufe angekündigt wurden, an in den Boden gerammten Stöcken. Flugblätter für
Slim Teds Tuesday Square Dances
in Ash Flat hingen an Telefonmasten. An beiden Enden der Gemeinde standen Kirchen, in der Mitte gab es ein fensterloses Seniorenzentrum.
»Ihr Haus ist gelb«, sagte Ree, »die Zufahrt geht hier von der Straße ab. Ich denke nicht, dass es weit ist. Eigentlich ganz hübsch hier. Warte, hier müssen wir rein.«
»Ich dachte, du hast gelb gesagt.«
»Sie muss wohl gestrichen haben.«
April Dunahew hatte einen Lattenzaun um den Hof herum und entlang der Zufahrt. Eine Rosenlaube überspannte den freigeschaufelten Fußweg, und im Haus brannte Licht. Es war jetzt weiß mit grünen Fensterläden. An den Wänden kauerten knorrige Immergrünsträucher. Ein kleines Auto und ein langer Pick-up mit einem Firmen namen an der Seite standen in der Einfahrt. An der Tür gab es eine Klingel, die eine Melodie aus vier Tönen spielte.
Das Licht auf der Veranda ging an, und die Tür öffnete sich. April trug ein untailliertes schwarzes Kleid, das ihr bis zu den Knöcheln reichte, und eine Brille an einer glit-zerndenKette. Sie hatte lockiges Haar und ein freundliches Lächeln.
»Ist das …?«
»Ree. Ich bin’s.«
»Du hast dir die Haare geschnitten!«
»Ich war’s leid, dass es immer bis zum Hintern hing und mir andauernd im Weg war.«
»Ich hab deine wilde Mähne geliebt. Einfach geliebt.«
»Sie mussten ja auch nicht jeden Abend die Blätter rauskämmen wie ich. Außerdem ist es seit dem Frühling schon wieder nachgewachsen. April, das ist meine Freundin Gail Lockrum, und das ist ihr Sohn Ned.«
»Du vergisst immer, dass ich jetzt Gail Langan heiße.«
»Ups, ist mir wieder entfallen – sie hat geheiratet. Einen Langan.«
»Verheiratet zu sein ist gar nicht schlecht, wenn du ein Baby hast«, sagte April. »So sehe ich das. Falls euch meine bescheidene Meinung interessiert. Warum kommt ihr nicht rein und setzt euch?«
»Ich suche Dad.«
»Das hab ich mir gedacht.«
Das Haus war das schönste, das Ree jemals hatte betreten dürfen. Alles war dort, wo es hingehörte, und sauber. Die Möbel waren teuer gewesen, und es gab elegante Einbauregale links und rechts neben dem Kamin. An der Wand stand eine Holzvitrine mit einer ganzen Sammlung von zarten Glasobjekten in vielen verschiedenen Farben und komplizierten Formen. Eine geschwungene Treppe führte ins Obergeschoss, und die Holzstufen glänztenbis nach oben hin. Im Wohnzimmer stand ein Fernseher, und über der Rückenlehne der Couch war der Kopf eines Mannes zu sehen. April zog die Lamellentür zu und sperrte den Fernsehlärm aus.
»Also, du weißt ja, dass Jessup und ich uns schon vor Langem getrennt haben.«
»Das weiß ich, aber ich dachte, vielleicht wissen Sie was.«
»Tja, vielleicht schon. Ich hab auch schon darüber nachgedacht.« April griff unter die Couch und zog einen metallenen Keksdosendeckel hervor, auf dem ein kleines Häufchen Pot und eine Pfeife lagen. »Ich muss mich erst mal entspannen, Ree. Hab einen Augenblick Geduld.«
Es war wie ein leises sonniges Lied, April damals hier gepflegt zu haben. Am Morgen musste sie sich übergeben, regelmäßig gab sie nasse Fontänen von sich, bis sie eines Tages wankend aufstand, um die kranken Geister des Hauses mit brennendem Salbei zu behandeln und so das Haus wieder gesund zu machen, damit auch sie wieder gesund wurde. Sie trug einen blauen Räucherofen umher, der mit Sand und einem Bund qualmender Salbeiblätter gefüllt war, verteilte den Rauch in Ecken und Durchgängen, schloss die Augen und murmelte etwas, das den Mächten des Qualms eine Art religiöser Kraft verlieh. Sie räucherte die Geister aus, damit das Haus sich frei fühlte von übrig gebliebener Wut und Schmerz und schlechten Gedanken, die sich an die alten Schatten klammerten, welche in diesen Wänden hausten. Sie wedelte Rauch herum, um das Haus wieder gesund zu machen,damit auch sie wieder gesund werden konnte, und während das Haus noch nach Salbei stank, breitete sich Wohlbefinden von den Wänden auf ihren Bauch aus, und am nächsten Morgen spuckte sie nicht mehr und gab auch keine nassen Fontänen von sich. Gegen Mittag trank sie schon wieder Wodka aus der Kaffeetasse.
»Hängst du immer noch an der Flasche?«
»Nein. Nein. Das hab ich aufgegeben. Nur noch Bier
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