Winters Knochen
baumelten. Gail sah hoch, als die Tür so heftig aufgerissen wurde, und fragte: »Was denn?«
»Dad! Dads Capri stand auf der anderen Seite der Brücke! Er ist Richtung Bawbee davon – siehst du die Rücklichter?«
»Bist du sicher, dass er es war?«
»Das ist unser Wagen.«
»Ree, wir sind immer noch stoned. Bist du sicher, dass du ihn gesehen hast?«
»Ich bin nicht so stoned, um nicht unseren eigenen gottverdammten Wagen zu erkennen, wenn ich ihn sehe! Und genau den habe ich gerade gesehen. Wir müssen hinterher!«
Gail beugte sich vor und knöpfte sich rasch die Bluse zu.
»Tja, dann musst du eben Neds Windel wechseln. Du wechselst die Windel, ich fahre hinterher. Oder du wartest noch ’ne Minute, bis ich fertig bin.«
Ree roch die Babykacke, sah den gelben Brei, das hilf-lose, sabbernde Gesicht, dann schob sie eine Hand unter Ned und zog ihn zusammen mit der dreckigen Windel auf ihren Schoß.
»Hab ihn.«
Gail legte den Gang ein und überquerte die Brücke. Sie fuhr langsam an der Reihe der wartenden Fahrzeuge vorbei. Die Menschen standen da, und noch immer rannten zwei Schweine herum, dann drückte sie das Gaspedal bis zum Anschlag durch und jagte ihrem eigenen Scheinwerferlicht nach die schmale gewundene Straße hinauf. Sie fuhr so schnell, dass der Pick-up sich in den Kurven bedrohlich zur Seite neigte. Es gab keinen Randstreifen,wenn man von der Straße abkam, stürzte man sofort in eine der einsamen Waldschluchten. Gail gab weiter Gas und setzte den Wagen in scharfen Kurven auf die andere Straßenseite.
»Ich hab die Rücklichter verloren«, sagte sie.
»Nach der Kurve da sehen wir sie vielleicht unten in der Senke.« Ree versuchte, Neds Po mit einer sauberen Ecke der dreckigen Windel abzuwischen, während sie im Pick-up, der in jeder Kurve umzukippen drohte, umhergeschleudert wurde. Sie zielte mit ihrem Finger auf die schmutzigen Stellen, aber ihre Hand flog hin und her, und sie spürte, wie ihre Knöchel erst über glatte Haut strichen und dann im Matsch versanken. Sie rieb sich die Finger an der Windel ab, hob Ned ein wenig an und wischte an seinem Babypopo herum, bis er in der Dunkelheit mehr oder weniger sauber aussah. »Ich sehe überhaupt keine Rücklichter mehr.«
Der Pick-up gab in den Kurven warnende Worte in einer knirschenden Metallsprache von sich. Der Schaltknüp pel ruckte wütend hin und her, wollte sich Gails Händen entziehen, bis sie ein wenig vom Gas ging. »Mann, so schnell kann ich nicht fahren!« Der Pick-up hustete und keuchte, während er an Fahrt verlor. »Das ist zu schnell für dieses alte Ding.« Die Straße lag schwarz vor ihnen, wand sich nach rechts und links, eine lange dunkle Kehre, die steil nach unten abfiel. Der Pick-up passierte düstere Wälder mit kahlen Bäume und vereinzelten, zitternden Fichten. »Hat doch keinen Sinn, wenn wir von diesem verdammten Kamm stürzen.«
»Bäh, wo ist denn eine saubere?«
»Eine saubere was?«
»Windel.«
»Die ist auf den Boden gefallen, an deinen Füßen.«
»Ich trau mich nicht, bei diesem Geschaukel mit Sicherheitsnadeln herumzuhantieren.«
»Mein Mann hat uns ein paar Windeln aus dem Laden spendiert. Da brauchst du keine Sicherheitsnadeln.«
Schwarzes Eis lag an der tiefsten Stelle der Straße. Der Pick-up rutschte überraschend seitwärts weg und drehte sich fast einmal im Kreis, bevor er wieder auf trockenen Asphalt stieß und Gail die quietschenden Reifen ausrichten konnte. Sie schrie auf, bremste langsam, bis sie nur noch vorwärtskrochen, dann hielt sie plötzlich ganz an, saß zitternd da und sah hinaus auf eine steile Böschung voller Gestrüpp und einem zugefrorenen Kuhteich. Ihre blassen Hände würgten noch immer das Lenkrad. Jenseits der Wasserstelle lag eine offene Fläche voller Baumstümpfe und Schneewehen neben aufgestapelten Baumstämmen. Gail ließ den Kopf aufs Lenkrad sinken. »Süße, das ist nicht das, weswegen wir uns einen reingezogen haben.«
Als sie ins Schleudern geraten waren, hatte Ree den nacktärschigen, sich windenden Ned an sich gepresst. Sie hatte ihn mit beiden Händen festgehalten, während sie herumgewirbelt wurde, mit der Schulter gegen die Tür donnerte und mit der Wange an der Fensterscheibe hing. Nun hielt sie seinen Kopf schützend gegen ihre Brust, breitete mit der anderen die Windel auf ihrem Schoß ausund spürte, wie sie rot wurde. Sie lachte vor Erleichterung und sagte: »Na ja, du weißt doch nie genau, was passiert, wenn man sich einen reingezogen hat. Deshalb
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