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Winters Knochen

Winters Knochen

Titel: Winters Knochen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Woodrell
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Veranda.
    »He, Süße«, rief Ree, »wie hast du geschlafen?«
    »So gut wie lange nicht.«
    Sonny stupste Ree mit dem Ellbogen an und sagte: »Zeig’s mir, okay?«
    »Ich zeig’s euch beiden. Harold, du bleibst hier!«
    Sie streckte das Eichhörnchen der Länge nach aus und bohrte am Hals die Klinge hinein.
    »Also, die sind zäher als Kaninchen, aber nicht zu zäh. Stellt euch vor, ihr schneidert dem Eichhörnchen einen Anzug, nur dass ihr ihn abschneidet, nicht anzieht. Ihr schneidet es hier am Hals auf, dann schneidet ihr die Knöchel frei, so, dann am Bauch entlang, und zum Schluss verbindet ihr die Schnitte alle miteinander. Die Haut sitzt fester als bei Kaninchen, also müsst ihr richtig daran ziehen und ein wenig nachhelfen, indem ihr mit dem Messer zwischen Fell und Fleisch schneidet. Harold, steck deine Hand rein und hol die Eingeweide raus.«
    »Ich fass doch keine Eingeweide an!«
    »Keine Angst, das Ding ist tot. Nichts, wovor du Angst haben musst.«
    »Ich hab keine Angst. Ich will nur nicht.«
    Sonny kauerte sich neben das Brett, schob seine Faust in das Eichhörnchen und zog die Eingeweide heraus aufs Holz. Dabei verzog er das Gesicht und schüttelte den Kopf. Die Eingeweide bildeten einen düsteren Haufen, dunkelrot, hellrot, braun und schwarz. Er sah sie sich an, dann schaute er zu Harold hinüber. »Ist auch nicht schlimmer als Kotze wegmachen. Du machst das Nächste.«
    »Aber beim Kotzewegmachen muss ich immer selber kotzen.«
    Ree schaute genau zu, wie Sonny das nächste Eichhörnchen aufschnitt. »Es gibt noch jede Menge Dinge, bei denen du die Angst überwinden musst, Junge.«
    »Harold«, sagte Gail, »du hast doch genügend Mumm dafür, oder etwa nicht?« Sie strich ihm über das dunkle Haar, und als sich ihre Blicke trafen, beugte sie sich vor und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Harold wurde rot, lehnte den Kopf gegen ihren Bauch und legte einen Arm um ihre Taille. »Du warst doch schon immer ein mutiger kleiner Gauner.«
    »Du kannst die hässlichen Sachen nicht immer Sonny überlassen, weißt du? Das ist nicht recht.«
    »Mir egal, er ist doch mein einziger Bruder.«
    »Mir aber nicht. Harold, schwing deinen Hintern hierher. Hau bloß nicht ab. Du wirst nicht wollen, dass ich dir hinterherlaufen muss. Das willst du ganz bestimmt nicht.Komm her und hock dich neben mich. Mach die Augen zu, wenn du willst, aber steck deine gottverdammten Finger da rein und hol die Eingeweide raus.«
    Harold rührte sich nicht, und Ree stand auf und packte ihn am Handgelenk. Sie zog ihn die Stufen hinunter zum Holzbrett. Er kauerte sich mit zusammengepressten Augen auf die Knie, und Ree führte seine Hand ins Innere des Eichhörnchens. Er verzog das Gesicht, so als würde er gleich in Tränen ausbrechen, doch er griff zu und zog und zog, bis die Eingeweide auf dem Brett lagen. Als er aufstand, schaute er zuerst auf seine Hand, dann auf die Eingeweide. »Eigentlich keine große Sache«, meinte er. »Diese Innereien fühlen sich richtig warm an.«
    »Schau dir unseren Harold an!« rief Gail. »Na, ist er etwa nicht der mutige kleine Gauner, für den ich ihn immer gehalten habe?«
    Harold schien verlegen, aber auch zufrieden, wie er dastand und auf die Eingeweide herabsah. »Wir essen das Zeugs doch sowieso nicht, oder?«
    »Nein.«
    Sonny und Harold eilten strahlend aufeinander zu und klatschten sich mit ihren blutigen Händen ab. Dann standen sie einen Augenblick lang still, kicherten, fuhren sich vorsichtig mit den roten Fingern über die Wangen und zogen ein paar Streifen als Kriegsbemalung. Sie lachten und sprangen auf dem schneebedeckten Hof herum, fuchtelten mit ihren blutigen Händen, während Ree das letzte Eichhörnchen aufs Brett warf und sich vorbeugte, um das Fell abzutrennen.

VOLLE MÄGEN SORGTEN für ein wenig Frieden. Ree lümmelte sich auf dem Sofa. Sie lag auf dem Rücken, hatte ihre langen Beine über die Armlehne gestreckt und sich ein Geschirrtuch über die Augen gelegt, damit die Bilder in ihrem Kopf vor einem dunklen Hintergrund aufflackerten. Ein winziger roter Kreis dehnte sich zu einem großen blauen Kreis aus, ein sich ausdehnender Eimerschlund vielleicht, und in dem Eimer waren Milliarden von Leuchtkäfern, die Funken sprühten, Funken in allen nur erdenklichen Farben, ständig von einer Nuance zur anderen wechselnd. Eine rote Nebelwolke stieg aus dem Eimer und nahm die Form eines kleinen krummen Baums an, der auf einem Hügel stand, mit einem alten schrumpligen Himmel dahinter.

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