Winters Knochen
mehr lange, dann ist die Luft raus.«
»Du solltest ein Foto davon machen lassen, solange sie so dick sind.«
»Das sollte ich wohl. Die können ziemlich schlabbrig werden, wenn sie wieder leer sind.«
Ree schaute zu, wie Gail Ned an sich drückte, so eng, wie es nur eben ging, und ihm aus einem Teil ihres Körpers zu essen gab, und sie erkannte darin das lebendige Bild einer möglichen Zukunft. Einer drohenden Art von Zukunft, nicht die, die sie wollte. Neds Babymund saugte und saugte an der Brustwarze, so als wolle er Gail leer trinken. »Ich denke, ich gehe und helf mal, die Schweine von der Straße zu kriegen«, sagte Ree. »Sonst stehen wir noch die ganze Nacht hier.«
»Lass dich nicht von denen fressen.«
»Ich glaub, so gut schmecke ich nicht.«
Die Schweine liefen aufgeregt auf der Brücke herum, grunzten zum anderen Ende hinüber und wurden mit Stöcken zurückgetrieben. Sie quiekten, wenn sie geschlagen wurden, und rannten kurz in alle möglichen Richtungen, stießen gegeneinander, donnerten gegen die Brüstung oder brachten die Leute zu Fall. Ree drückte sich gegen die Brüstung und begann, die Schweine in Richtung Zaunlücke zu scheuchen: »Sch, Sch!« Die Scheinwerfer auf beiden Seiten der Brücke blendeten sie. Quiekende Schweineschatten wieselten zwischen den Lichtstrahlen hindurch. Ree stand neben der schwarzen Brüstung, und wenn sie die Schweine an ihren Beinen spürte oder an sich vorbeikommen sah, trat sie nach ihnen und scheuchte sie laut davon. Nachdem die Brückefrei war, trabten schließlich die Anführer von der Straße herunter, und die letzten Schweine folgten ihnen.
Der Farmer sah zu, wie die Schweine wieder in den Pferch liefen, wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß vom Gesicht, seufzte und sagte dann: »Verdammt! Da rennen schon wieder zwei auf die Brücke.«
»Ich gehe hinter die Viecher und scheuch sie in Ihre Richtung.«
»Das wäre eine echte Hilfe, junge Dame.«
Die fliehenden Schweine wurden von einer kleinen Menschenansammlung am Nordende der Brücke aufgehalten. Ihre Klauen schlitterten über den Straßenbelag, und sie blieben, geblendet von den vielen Autoscheinwerfern, stehen. Die Menschen rauchten und lachten, rissen Witze über all den kostenlosen Schinken und Speck, der da einfach so mitten in der Nacht unterwegs war, ohne dass jemand auch nur eine Haxe mit nach Hause nehmen würde. Die Schweine gingen langsam zur Brüstung hinüber, dorthin, wo keine Menschen standen. Ree erkannte, was sie vorhatten, drehte sich um und trat ihnen sanft gegen die Schnauze. »Sch! Sch! Hier lang!«
Beim Aufheulen des Motors schaute sie über die Schulter. Sie hatte so viele lange Tage und noch längere Nächte in ihrem Leben diesen Motor gehört, hatte so oft eine Woge der Erleichterung verspürt, wenn sie dieses tief in ihrem Gedächtnis eingeprägte Rattern und Quietschen von Dads Capri hörte, der die zerfurchte Straße zum Haus entlangfuhr, dass ihr Körper und ihre Seele wie von selbst auf das Geräusch reagierten. Flügel flatterten in ihremBauch, und sie kniff die Augen zusammen und blickte suchend in die vielen Scheinwerfer. Es standen nun sieben oder acht Wagen auf der Nordseite, und Ree bahnte sich einen Weg durch das Gestrüpp der Lichter, hielt sich die Hände vor die Augen, ging auf das Rattern und Quietschen des Autos zu, das sich ihr so ins Gedächtnis gegraben hatte. Sie winkte mit den Armen überm Kopf, gestikulierte in das Gewirr der Scheinwerfer hinein. Die Schweine folgten ihr von der Brücke herunter, aber Ree kümmerte sich nicht darum, sondern lief an der Reihe von Autos entlang und winkte unablässig. Sie stellte sich so hin, dass sie gut erkannt werden konnte. Aufrecht stand sie da, schaute nach Norden und sah den Capri am Ende der Schlange stehen, sah, wie er zurücksetzte, eilig wendete und die Straße in Richtung Bawbee davonbrauste.
Ree sah kurz den roten Zwillingsrücklichtern nach, die den Hügel hinaufeilten; das Rot war in der Nacht und dem allgegenwärtigen Weiß der Landschaft leicht auszumachen. Sie atmete kurz und flach, schaute den ansteigenden roten Punkten nach, rannte dann mit hart auf die alte Eisenbrücke trommelnden Kampfstiefeln zurück und riss die Autotür auf. Gail saß über die Sitzbank gebeugt und mühte sich gerade mit einer Windel aus ihrer blauen Tasche ab, um Ned zu wickeln. Sie musste sich noch die Bluse zuknöpfen und das Baby abwischen, Ned lag in seiner gelblichen Kacke, während Gails Brüste über seinem Gesicht
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