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Winters Knochen

Winters Knochen

Titel: Winters Knochen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Woodrell
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setzte sich ans andere Ende der Couch. Die Tür des Kanonenofens stand auf, und in dem trüben Schein sah sie die Köpfe der beiden Jungs flach auf ihren Kopfkissen liegen, die Füße schauten unter den Decken hervor. »Ich glaub, ich werd wieder«, meinte sie. »Nicht heute, aber bald.«
    »Du hast die Prügel besser weggesteckt als viele Männer, die ich kenne.«
    »Hm.« Ree ließ den Kopf an die Rückenlehne sinken und schloss ihr Auge. Auf ihrer rosa Wolke fühlte sie sich zum Reden aufgelegt. »Was ich wirklich, wirklich nicht ertrage … ist … ich schäm mich so für Dad. Jemanden verpfeifen ist wirklich das Letzte.«
    Der Wind ließ die Fenster in ihren Rahmen klappern. Das Licht auf der anderen Seite des Bachs glänzte auf den vereisten Fensterscheiben. Mom schnarchte kurz und laut, was im ganzen Haus zu hören war. Der Geruch des sich füllenden Aschenbechers hing in der Luft.
    »Er hat euch alle geliebt. Da ist er schwach geworden.«
    »Aber …«
    »Hör zu, Mädchen – viele von uns können stark sein, ziemlich stark sogar, auch über eine lange Zeit hinweg.« Er wies abrupt und mit steifem Arm zu Moms Zimmer hinüber. »Weißt du, Connie da drüben, Connie war auch ziemlich stark. Wirklich. Bei Schießereien, die Zeit, als Jessup im Knast war, bei allem möglichen Scheiß davor, aber ich weiß nicht, irgendwann bekam sie einen Sprung, und all ihre Kraft versickerte.«
    »Aber verpfeifen …«
    »Jessup war nicht immer ein Verräter. Viele Jahre lang war er das nicht. Niemals. Nur einmal wurde er schwach.«
    Ree sah zum Kanonenofen hinüber und bemerkte, dass Sonny sich aufgesetzt hatte, zuhörte, mit dem Rücken an der Wand, und er hörte Worte, von denen er sein ganzes Leben lang zehren würde. Sie fragte: »Deshalb meiden uns jetzt alle, oder?«
    Ein Geruch ging von Onkel Teardrop aus, er roch verbrannt, so als hätte etwas Elektrisches zu lange in der Steckdose gesteckt und würde durchschmoren. Er zündete sich eine Zigarette an, beugte sich zu Ree vor und hielt dabei seine geschmolzene Gesichtshälfte ins Licht. »Die Dollys hier in der Gegend dürfen sich nicht dabei erwischen lassen, wie sie eine Verräterfamilie verwöhnen«, sagte er, »so war das schon immer bei uns. Wir sind altes Blut, und die Regeln standen schon fest, als das Jesulein noch in die Windeln gekackt hat. Verstanden? Aber dieses Ausgrenzen kann sich mit der Zeit ändern. Die Leute haben gemerkt, dass du stark bist, Mädchen.«
    Ree sah zu, wie er rauchte, sah zu und wartete müde, bis er sich zurücklehnte, einen Beutel Meth aufrollte, seinen Finger in das Pulver tunkte, schnupfte, nach Luft schnappte, erneut schnupfte. Hart sog er die Luft durch die Nase. Ree gähnte und sagte: »Du hast mir immer Angst gemacht, Onkel Teardrop.«
    »Weil du klug bist«, entgegnete er.
    Die blauen Tabletten blühten auf und ließen Ree in der Dunkelheit zusammensacken. Schlapp und sabbernd lag sie auf dem Sofa, bis Teardrop sie mit einem Finger wachpiekste. Sie stand auf, ging zu Bett, legte sich so hin, dass sie an Gails Hüfte ruhte. Sie umklammerte ihr dickstes Kissen und versank rasch in einen tiefen, schwarzen Schlaf, keine Bilder flammten in ihrem Kopf auf, keine Worte wurden gebrüllt, es gab nur schwarzen Schlaf und die aufsteigende Hitze zweier Mädchen, die eng beieinander unter einer Flickendecke lagen.

DEN GANZEN MORGEN ÜBER schien es, als würden Geigenspieler, die sich irgendwo versteckten, langsame, gedankenschwere Lieder fiedeln, und alle im Haus würden zuhören und die Stimmung der Musik in sich aufnehmen. Die Jungs waren mürrisch, wach, aber mürrisch und wortkarg, als sie Rühreier mit Lyoner aßen, die Gail in der schwarzen Pfanne gebraten hatte. Mom blieb in ihrem Zimmer, und Sonny brachte ihr einen Teller. Ned gurgelte in seiner Babytrage auf der anderen Seite des Tischs. Die heimliche Fiedelmusik verdickte die Luft mit einem einlullenden Nebel tiefer Töne, doch ab und zu kreischten wilde, höhere auf, bei denen alle die Augen zur Decke hoben. Ree nahm die Gabel, um ihr Essen in kleine Stücke zu zerteilen, dann kaute sie vorsichtig auf der unverletzten Seite ihres Mundes. Vom Kaffee schmerzte die zerschundene Seite höllisch.
    »Wirst du aus dem Schwellauge wieder sehen können?«
    »Das haben sie jedenfalls gesagt.«
    »Ist es immer noch ganz blind?«
    Ree sprach breiige Sätze mit ihren geschwollenen Lippen. »Ich kann die Sonne sehen. Und wenn sich Schatten bewegen.«
    »In meiner Klasse sind zwei Miltons aus

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