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Winters Knochen

Winters Knochen

Titel: Winters Knochen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Woodrell
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sich Rees Gesicht anzuschauen, Ree kannte eine von ihnen, Kitty Thurtell, geborene Langan, etwas schmächtig, aber eine verdammt gute Bluegrass-Sängerin. Kitty meinte: »Ach, du armes, geschundenes Ding. Die Hawkfall-Ladys haben dich windelweich geprügelt, hm?«
    »Fühlt sich so an.«
    »Sieht auch so aus.«
    Die andere Frau duckte sich, um besser in den Pick-up schauen zu können, und Ree erkannte sie, es war eine Dolly, Jean Dolly aus Bawbee. Jean schob ihre angelaufene dicke Brille nach unten, starrte Rees zerkratzte Wangen an und ihre geschwollenen Lippen, schüttelte den Kopf, richtete sich auf und meinte: »Ich hatte auch mal Krach mit diesen fettärschigen Schlampen. Die haben mich auf dieselbe feige Art verprügelt wie sie.«
    Kitty packte Jean am Arm und sagte: »Gewöhn dir ja nicht an, dass laut in der Gegend herumzuposaunen, hast du verstanden?«
    »Es muss aber mal gesagt werden.«
    »Aber sei vorsichtig, wo du das sagst, Schätzchen.«
    »Ich sage die Wahrheit, wo es mir verdammt noch mal passt.«
    »Über diese Frauen solltest du besser nicht laut reden.«
    Die Frauen drehten sich aus dem Wind und gingen rückwärts zur Tankstelle. Ree kurbelte die Scheibe hoch, lehnte ihr Gesicht an das kalte Glas und war schnell wieder eingeschlafen. Sie wurde von Schwärze umfangen, durchzogen von feinen blassen Linien ihres Bewusstseins, die in dem Schwarz herumsummten. Als sie die Augen aufschlug, war sie Teil einer Art Wolke, einer dicken, müden Wolke, die sich am Boden niedergelassen hatte. Die Scheiben waren überfroren, dahinter hing tiefer Nebel. Durch Frost und Nebel sah man rote und grüne Lichter, Ree kratzte mit einem Fingernagel ein Guckloch ins Eisund erkannte eine Bierreklame über der Tür eines Gebäudes aus unverputzten Zementblöcken, einer Bar ohne Fenster oder Namen, aber mit einer Bierreklame. Ree kannte den Schuppen als Ronnie Vaughans Bar, und wahrscheinlich hatte das Ding auch einen richtigen Namen, aber sie kam nicht darauf. Fünf, sechs Fahrzeuge standen neben dem Pick-up auf dem Parkplatz.
    Ree zitterte, schniefte und griff nach der Whiskeyflasche. Sie trank und rülpste, dann drückte sie die Tür auf und trat hinaus in das flatternde Wetter. Sie zog Großmutters Mantel, den sie über ihrem Flanellnachthemd trug, enger und schlurfte mit offenen Stiefeln zur Bar hinüber. Sie ging hinein, acht oder zehn müde Männer sahen sie an. Die Art von Bauernmusik, die sie nicht ausstehen konnte, dröhnte aus einer hässlichen Jukebox, zwei zerzauste Frauen in Gummistiefeln tanzten miteinander. Teardrop sah vom Ende der Theke auf, erkannte Ree und zeigte auf sie. »Da ist sie«, meinte er zum Barkeeper.
    »So schlimm schaut sie gar nicht aus, Mann.«
    »Wenn du den Rest von ihr sehen könntest, würdest du anders reden.«
    Ree stand da, kaputt, müde, und Großmutters Mantel schlug auf und enthüllte ihr Nachthemd und die blau geschlagenen Unterschenkel.
    »Das Mädchen hat hier nichts verloren, Teardrop. Ich meine, es wird keine drei Minuten dauern, bis einer dieser versoffenen Holzköpfe ein Auge auf sie wirft und …«
    Der erhitzte Raum und die stickige, verbrauchte Luft machten Ree schwindlig. Es war, als wäre die Luft vieleMale durch die Münder kettenrauchender Säufer geatmet worden, bis sie zuletzt verdorrt war und stank. Ree setzte sich auf einen Plastikstuhl, aber der Gestank, die Lichter, die Musik waren zu viel für sie, und sie stand auf und ging wieder hinaus. Der Wind schmerzte ihr auf der Haut, und sie setzte sich in den Pick-up, lehnte am Fenster, schloss die Augen.
    Bald fuhr der Pick-up wieder los, und Teardrop meinte: »Scheiße, Mädchen, selbst in dem Zustand hätte ich dich mit drei von den Kerlen da drin verheiraten können. Hast du Interesse?«
    »Ich glaub, ich muss kotzen.«
    »Das hab ich ihnen auch gesagt.«
    »Nein, Mann, ich muss wirklich kotzen.«
    Teardrop setzte den Pick-up auf die unter dem höher werdenden Schnee unsichtbare Straße und fuhr dann mit durchdrehenden Reifen los. Er sah zu Ree hinüber und meinte nur: »Dann spuck aus dem verdammten Fenster.«
    Sie steckte ihren Kopf in die Kälte und sandte den heißen Schlamm aus altem Essen in die Schneewehen, doch der Wind klatschte ihn auf die Wagenflanke. Ree ließ den Kopf aus dem Fenster hängen, bis sie ihre Wangen nicht mehr spürte und das Wasser, das der Wind ihr in die Augen trieb, an ihren Wimpern hing. Sie kurbelte die Scheibe hoch, ließ den Kopf sinken und schloss die Augen. »Ich hab’s nicht

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