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Wintersturm

Titel: Wintersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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Blick zu. »Ich habe meine Gründe dafür«, sagte er leise. »Bitte, haben Sie Geduld.«
    »Vati?« Ein fröhlicher Ton kam in Nancys Stimme. Sie lachte verhalten. »Es war so lustig. Mutter und ich fuhren immer zum Flughafen, um ihn abzuholen, wenn er von einem Flug zurückkam. In den ganzen Jahren kam er nie von einer Reise zurück, ohne daß er Mutter und mir etwas mitgebracht hätte. Wenn er Urlaub hatte, reisten wir in der ganzen Welt umher. Sie haben mich immer mitgenommen. Ich erinnere mich an eine Reise…«
    Ray vermochte nicht, seine Augen von Nancy zu wenden.
    Noch nie hatte er sie mit diesem Ton in der Stimme sprechen hören – lebhaft, munter, und mit einem leisen Lachen, das durch ihre Worte klang. War es das gewesen, was er insgeheim immer in ihr zu entdecken gehofft hatte? War da doch mehr als nur Lebensmüdigkeit und Angst vor Entdeckung? Er hoffte es.
    Jonathan Knowles hörte Nancy aufmerksam zu. Er war von der Methode, mit der Lendon arbeitete, sehr angetan: ihr Zutrauen zu gewinnen und sie zu beruhigen, ehe er sie nach Einzelheiten über den Tag befragte, an dem die Harmon-Kinder verschwunden waren. Es war qualvoll, das sanfte Ticken der Standuhr zu hören… eine Mahnung, daß die Zeit verrann. Ihm kam zum Bewußtsein, daß es ihm immer schwerer fiel, an Dorothy vorbeizusehen. Er wußte, daß er bei ihrem kurzen Gespräch, als sie gerade in ihren Wagen steigen wollte, ein wenig schroff gewesen war. In seiner Enttäuschung hatte er so auf ihre vorsätzliche Schwindelei reagiert – auf die Tatsache, daß sie ihm persönlich gegenüber behauptet hatte, sie habe Nancy schon als Kind gekannt.
    Warum hatte sie das getan? Vielleicht, weil er irgendwie angedeutet hatte, daß ihm Nancy bekannt vorkäme? Oder war es einfach ein Versuch gewesen, ihn von der Wahrheit abzulenken, weil sie glaubte, ihm die Wahrheit nicht anvertrauen zu können? Hatte er etwa das vorgekehrt, was Emily immer seine ›Ihr Zeuge, Herr Staatsanwalt‹ Manier genannt hatte?
    Auf jeden Fall hatte er das Gefühl, daß er Dorothy eine Abbitte schuldig sei. Sie sah nicht sehr gut aus. Man merkte ihr die Anspannung an. Sie trug immer noch ihren schweren Mantel, ihre Hände hatte sie tief in die Taschen gesteckt. Er nahm sich vor, bei der ersten günstigen Gelegenheit mit ihr zu sprechen. Sie mußte sich beruhigen. Die Kinder waren bestimmt ihr ein und alles.
    Die Lampen im Zimmer flackerten plötzlich, gingen aus.
    »Das mußte so kommen.« Jed Coffin legte sein Mikrofon auf den Tisch und suchte nach Streichhölzern. Hastig zündete Ray die antiken Öllampen auf beiden Seiten des Kaminsimses an.
    Sie gaben ein gelbes Licht, das sich auflöste und harmonisch mit den leuchtend roten Flammen im Kamin verband und die Couch, auf der Nancy lag, in eine rosafarbene Glut tauchte und tiefe Schatten in die Ecken des dunklen Zimmers warf.
    Ray schien es, als seien der gleichförmige Trommelwirbel, den der Graupel gegen das Haus schlug, und das Stöhnen des Windes in den Kiefern stärker geworden. Der Gedanke, daß die Kinder bei diesem Wetter irgendwo draußen waren… In der vergangenen Nacht war er aufgewacht, als er Missy husten hörte. Doch als er in ihr Zimmer ging, war sie schon wieder tief eingeschlafen, eine Hand unter ihrer Wange. Als er sich über sie beugte, um die Bettdecke hochzuziehen, hatte sie ›Vati‹
    gemurmelt und sich bewegt, aber als sie seine Hand auf ihrem Rücken spürte, hatte sie sich gleich wieder beruhigt.
    Und Michael. Er und Michael hatten in Wiggins’ Market Milch geholt – war das erst gestern morgen gewesen? Sie waren gerade in dem Augenblick angekommen, als der Mieter aus dem ›Ausguck‹, dieser Mr. Parrish, herauskam. Der Mann hatte freundlich genickt, aber als er in seinen alten Ford einstieg, hatte sich Michaels Gesicht vor Abscheu zusammengezogen. »Den mag ich nicht«, hatte er gesagt.
    In der Erinnerung daran lächelte Ray fast. Michael war ein kerniger kleiner Bursche, aber er hatte etwas von Nancys Widerwillen gegen Häßliches geerbt, und wie man es auch drehen und wenden mochte, Courtney Parrish war ein plumper, schwerfälliger, wenig attraktiver Mann.
    Sogar die Wiggins haben sich abfällig über ihn geäußert.
    Nachdem er gegangen war, sagte Jack Wiggins, ohne eine Miene zu verziehen: »Dieser Kerl ist wohl das langsamste menschliche Wesen, das mir in meinem Leben begegnet ist.
    Beim Einkaufen läuft er hier planlos herum, als ob er unendlich viel Zeit hätte.«
    Michael hatte nachdenklich

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