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Wintersturm

Titel: Wintersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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bekommen. Die Tür am Ende der Treppe stand offen. An der Wand erblickte sie einen Schatten, von einem dünnen flackernden Licht geworfen. Dann hörte sie es wieder… eine Stimme – Michaels Stimme… »Das dürfen Sie nicht tun! Das dürfen Sie nicht!«
    Sie rannte die Treppe hinauf, ohne nachzudenken, wie von Furien gejagt. Michael! Missy? Sie überstürzte sich, dachte nicht mehr daran, daß sie leise auftreten mußte, aber ihre dicken Socken dämpften ihren Schritt. Ihre Hand, die ans Treppengeländer faßte, machte kein Geräusch. Auf dem Treppenabsatz zögerte sie. Das Licht kam hinten vom Korridor her. Lautlos, ohne stehenzubleiben, hastete sie durch das düstere und verlassene Zimmer, wahrscheinlich das Wohnzimmer, auf das Kerzenlicht im Schlafzimmer zu, auf die riesige Gestalt zu, die mit dem Rücken zu ihr stand, die mit einer Hand eine kleine, sich windende Gestalt auf dem Bett festhielt und leise kichernd mit der anderen Hand eine glänzende Plastiktüte über einen blonden Kopf zog.
    Nancy sah ein paar entsetzte, aufgerissene blaue Augen, Michaels blondes Haar, das ihm auf der Stirn klebte, sie sah, wie die Plastikfolie auf seinen Augenlidern und Nasenlöchern haftete. Sie schrie: »Laß ihn los, Carl!…« Erst als ihr der Name schon über die Lippen gekommen war, wurde ihr bewußt, daß sie ›Carl‹ gesagt hatte.
    Der Mann fuhr herum. Sie sah, daß irgendwo in dieser riesigen Fleischmasse Augen lauerten, die glühend hin und her schössen. Nancy sah haftende Plastikfolie, Missys kleine Gestalt mit zerzaustem Haar auf dem Bett, daneben einen kleinen hellroten Haufen – ihre Windjacke.
    Sie bemerkte, wie der Ausdruck von Verblüffung in Bösartigkeit umschlug. »Du.« An diese Stimme erinnerte sie sich. Die Stimme, die sie über sieben Jahre hinweg auszulöschen versucht hatte. Er kam drohend auf sie zu. Sie mußte um ihn herum kommen. Michael konnte nicht atmen.
    Er machte einen Satz nach vorn. Sie wich zurück, fühlte seinen schweren Griff um ihr Handgelenk. Sie fielen zusammen hin, polternd, schwer. Sie spürte, wie sich sein Ellbogen in ihre Seite bohrte. Es war ein wahnsinniger Schmerz, aber einen Augenblick lang lockerte sich sein Griff.
    Sein Gesicht war dicht neben ihrem. Dick und fahl, die Züge verschwommen und vergröbert, und dann der säuerliche, modrige Geruch… noch genauso wie früher.
    Wie von Sinnen holte sie mit aller Kraft aus und traf die dicke, schwammige Wange. Er heulte vor Wut auf und schlug um sich, aber er ließ sie los, und sie zog sich hoch. Sie spürte, wie seine Hand an ihr zerrte. Sie warf sich auf das Bett. Mit den Fingernägeln ritzte sie die straffe Plastikfolie auf; Michaels Augen traten darunter schon aus den Höhlen, und seine Wangen liefen blau an. Sie hörte noch seinen keuchenden Atem, als sie sich herumwand, um Carls erneutem Angriff zu begegnen. Seine Arme zogen sie fest an sich. Sie spürte die krankhafte Wärme seines unbedeckten Körpers.
    O Gott. Sie stieß sein Gesicht mit den Händen zurück und spürte, wie er sie nach hinten bog. Während sie sich loszureißen versuchte, spürte sie Missys Fuß unter sich, er berührte sie, bewegte sich. Er bewegte sich. Missy lebte noch.
    Sie wußte es, sie konnte es spüren.
    Sie begann zu schreien – einen anhaltenden, durchdringenden Schrei um Hilfe, und dann verschloß ihr Carls Hand den Mund und die Nase. Vergebens versuchte sie, in die dicke Handfläche zu beißen, die ihr die Luft absperrte und ihr das Gefühl gab, als ob sich große schwarze Vorhänge über ihre Augen legten.
    Sie versank schon in eine keuchende Bewußtlosigkeit, als die Hände ihren Druck abrupt lockerten. Sie würgte –
    langgezogene Gurgellaute. Von irgendwoher rief jemand ihren Namen. Ray! Es war Ray! Sie versuchte, laut zu rufen, aber sie brachte keinen Laut hervor. Sie kämpfte sich hoch, bis sie sich auf einen Ellbogen stützen konnte, sie schüttelte den Kopf.
    »Mami, Mami, er will Missy nehmen!« Michaels Stimme klang beschwörend, er zerrte mit der Hand an ihr.
    Es gelang ihr, sich zu setzen. Dann stürzte Carl auf sie zu.
    Sein Arm langte an ihr vorbei und griff nach der kleinen Gestalt, die sich krümmte und schrie.
    »Laß sie liegen, Carl. Rühr sie nicht an.« Sie vermochte nur noch zu krächzen. Er schaute sie mit wilden, wahnsinnigen Augen an und drehte sich um. Er preßte Missy an sich und lief in seiner unbeholfenen torkelnden Art davon. Sie hörte, wie er in der Dunkelheit des angrenzenden Zimmers gegen Möbel

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