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Wintersturm

Titel: Wintersturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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Haus zu. Laß mich nicht zu spät kommen. Bitte, laß mich nicht zu spät kommen. Als ob sich vor ihrem Blick plötzlich die Wolken zerteilten, sah sie plötzlich vor sich, wie sie damals auf die Steinplatten hinabstarrte, auf denen Lisa und Peter lagen… mit weißen Gesichtern, vom Wasser aufgetrieben mit Fetzen von Plastiktüten, die noch an ihnen klebten. Bitte, flehte sie. Bitte!
    Sie erreichte das Haus und lief um das Gebäude herum zum Haupteingang. Der Schlüssel in ihrer Hand war feucht und kalt.
    Sie hielt ihn ganz fest in der Hand. Bis auf das obere Stockwerk war es ganz dunkel im Haus. Sie sah, daß oben durch den Vorhang an einem Fenster Licht nach draußen fiel.
    Als sie um das Haus rannte, hörte sie das hart krachende Tosen der Brandung, wenn sich die Wellen auf dem Felsenufer brachen. Auf dieser Seite gab es keinen Strand – nur Felsmassen.
    Sie war sich gar nicht bewußt gewesen, daß das Gebäude so hoch war. Von den rückwärtigen Fenstern aus konnte man wahrscheinlich die ganze Stadt überblicken.
    Sie atmete in tiefen keuchenden Zügen. Nancy spürte, wie heftig ihr Herz pochte. Nach dem hastigen Lauf in dem kalten Wind vermochte sie kaum Atem zu holen. Ihre erstarrten Finger fummelten mit dem Schlüssel herum. Mach, daß der Schlüssel sich im Schloß dreht; bitte mach, daß er aufschließt.
    Sie spürte Widerstand, als der Schlüssel in das verrostete Schloß griff, sich erst verhakte, und sich schließlich langsam drehte; Nancy stieß die Tür auf.
    Das Haus war dunkel – ganz schrecklich dunkel. Sie konnte nichts erkennen. Ein modriger Geruch lag in der Luft, und es war hier so still. Das Licht war aus dem Obergeschoß gekommen. Das war dort, wo das Apartment lag. Sie mußte die Treppe finden. Sie widerstand der Versuchung, Michaels Namen hinauszuschreien.
    Dorothy hatte irgend etwas von zwei Treppen im Foyer hinter dem großen Vorderzimmer gesagt. Das hier war das Vorderzimmer. Unsicher bewegte sich Nancy vorwärts. In der absoluten Dunkelheit streckte sie ihre Arme nach vorn aus. Sie durfte keinen Lärm machen; durfte ihn nicht vorzeitig warnen.
    Sie stolperte über etwas, fiel nach vorn und fand das Gleichgewicht wieder, als sie sich an irgend etwas festhielt. Es war die Lehne einer Couch oder eines Sessels. Sie tastete sich daran vorbei. Wenn sie doch nur Streichhölzer hätte. Sie lauschte angestrengt… Hatte sie da etwas gehört… einen Schrei… oder war das nur der Wind, der im Kamin heulte?
    Sie mußte die Treppe hinauf… mußte sie finden. Aber wenn sie gar nicht dort wären?… Was war, wenn sie zu spät käme?…
    Wenn es so war wie beim letzten Mal? – mit ihren kleinen Gesichtern, so still, so entstellt… Sie hatten ihr so vertraut. Lisa hatte sich an jenem Morgen an sie gehängt. »Vati hat mir weh getan«, war alles, was sie immer wieder sagte. Nancy war überzeugt gewesen, daß Carl sie geschlagen hatte, weil sie das Bett naß gemacht hatte… hatte sich verwünscht, daß sie zu müde gewesen war, nicht aufgewacht war. Sie hatte nicht gewagt, Carl Vorhaltungen zu machen… aber als sie das Bett beziehen wollte, war es gar nicht naß; Lisa hatte also gar nicht das Bett naß gemacht. Das hätte sie ihnen im Prozeß sagen sollen, aber sie brachte es nicht über sich. Sie war unfähig, einen Gedanken zu fassen, und sie war zu müde… und es war auch alles nicht mehr wichtig.

    Die Treppe… Das war ein Treppenpfosten unter ihrem Arm…
    Der Treppenaufgang… drei Treppen… Geh am Rande… Sei ganz ruhig. Nancy faßte nach unten und riß sich die Schuhe von den Füßen. Sie waren so naß, daß sie quietschten… Jetzt ganz ruhig sein… Muß nach oben gehen … Darf nicht wieder zu spät kommen.,. Zu spät beim letzten Mal… Hätte die Kinder nicht im Auto lassen dürfen… Hätte es wissen müssen…
    Die Treppe knarrte unter ihrem Fuß. Darf ihn nicht erschrecken … Beim letztenmal geriet er in Panik… Vielleicht hat ihn Michaels Anruf in Panik versetzt… Beim letztenmal sagten sie, daß die Kinder erst ins Wasser geworfen wurden, als sie schon tot waren… Aber Michael lebte noch, noch vor wenigen Minuten… Vor zwanzig Minuten… und er glaubte, daß Missy krank war… Vielleicht war sie wirklich krank… Muß zu ihr…
    Die erste Treppe… Schlafzimmer auf dieser Etage… aber kein Licht, kein Laut… Noch zwei Treppen… Im zweiten Stock auch nichts, kein Laut zu hören.
    Am Fuß der letzten Treppe blieb Nancy stehen, um ihren rasselnden Atem unter Kontrolle zu

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