Winterträume
zu täuschen. Er war ein ausgemachter, in der Wolle gefärbter, neunundneunzigdreiviertelprozentiger Jelly-bean, der während der Jelly-bean-Saison, wozu jede Jahreszeit zählt, im Land der Jelly-beans weit südlich der Mason-Dixon-Linie träge heranwuchs.
Bezeichnen Sie einen Mann aus Memphis als Jelly-bean, und er wird ein langes, kräftiges Seil aus der Hüfttasche ziehen und Sie am nächstbesten Telegrafenmast aufknüpfen. Bezeichnen Sie einen Mann aus New Orleans als Jelly-bean, und er wird grinsen und Sie fragen, wer Ihre Freundin zum Faschingsball ausführt. Der spezielle Jelly-bean-Flecken, der den Helden dieser Geschichte hervorgebracht hat, liegt irgendwo dazwischen – eine kleine Stadt von vierzigtausend Einwohnern, die seit vierzigtausend Jahren im Süden Georgias vor sich hin dämmert, sich hin und wieder in ihrem Schlummer regt und etwas von einem Krieg murmelt, der irgendwann irgendwo stattfand und von allen anderen längst vergessen ist.
Jim war ein Jelly-bean. Ich schreibe es noch einmal, weil es so schön klingt – fast wie der Anfang eines Märchens –, so als wäre Jim ein netter Kerl. Irgendwie sehe ich ihn dann mit einem runden, appetitlichen Gesicht und einem Hut vor mir, aus dem alle möglichen Blätter und Früchte sprießen. Jim jedoch war lang und dünn und vom vielen Billardspielen gebeugt, und im unvoreingenommenen Norden hätte man ihn wahrscheinlich als Eckensteher bezeichnet. »Jelly-bean« ist in der gesamten noch intakten Konföderation der Name für jemanden, der sein Leben damit zubringt, das Verb faulenzen in der ersten Person zu konjugieren – ich faulenze, ich habe gefaulenzt, ich werde faulenzen.
Jim wurde in einem weißen Haus an einer grünen Ecke geboren. Es hatte vorne vier verwitterte Säulen und hinten eine Menge Gitterwerk, dessen Kreuz-und-quer einen fröhlichen Hintergrund für den blumigen, sonnengetränkten Rasen abgab. Ursprünglich hatte den Bewohnern des weißen Hauses noch das Nachbargrundstück und auch das nächste und übernächste Grundstück gehört, doch das war lange her, und selbst Jims Vater erinnerte sich kaum daran. Ja, er hatte diesem Umstand so wenig Bedeutung beigemessen, dass er, als er nach einer kleinen Schießerei im Sterben lag, ganz vergaß, dem kleinen Jim davon zu erzählen, der fünf Jahre alt war und erbärmliche Angst hatte. Aus dem weißen Haus wurde eine Pension unter der Leitung einer schmallippigen Dame aus Macon, die Jim Tante Mamie nannte und von ganzer Seele verabscheute.
Er wurde fünfzehn, ging auf die Highschool, trug das Haar in wirren schwarzen Locken und fürchtete sich vor Mädchen. Er hasste sein Zuhause, wo sich vier Frauen und ein alter Mann in endloser Geschwätzigkeit Sommer für Sommer wieder darüber verbreiteten, welche Grundstücke das Anwesen der Powells ursprünglich umfasst hatte und welche Blumensorte als nächste hervorsprießen würde. Manchmal luden ihn die Eltern der kleinen Mädchen in der Stadt zu Partys ein, weil sie sich noch an Jims Mutter erinnerten und in den dunklen Augen und Haaren eine Ähnlichkeit zu erkennen meinten, doch Partys schüchterten ihn ein, und viel lieber saß er auf einer abmontierten Radachse in Tillys Werkstatt und ließ die Würfel rollen oder erforschte mit einem langen Strohhalm unermüdlich seinen Mund. Um sich etwas Taschengeld zu verdienen, übernahm er Gelegenheitsarbeiten, und deswegen ging er schließlich zu gar keiner Party mehr. Auf seiner dritten Party hatte nämlich die kleine Marjorie Haight indiskret und in seiner Hörweite herumerzählt, er sei der Laufbursche, der ihnen manchmal die Lebensmittel liefere. Und so hatte Jim anstelle von Twostep und Polka gelernt, jede Zahl zu würfeln, die er nur wollte, und dabei den gepfefferten Geschichten von allen Schießereien gelauscht, die sich während der letzten fünfzig Jahre in der Gegend ereignet hatten.
Er wurde achtzehn. Der Krieg brach aus, und er meldete sich freiwillig als Matrose und polierte ein Jahr lang Messing in der Marinewerft von Charleston. Dann zog er zur Abwechslung nach Norden und polierte ein Jahr lang Messing in der Marinewerft von Brooklyn.
Als der Krieg vorbei war, kehrte er heim. Er war jetzt einundzwanzig, und seine Hosen waren ihm zu kurz und zu eng. Er trug lange, schmale geknöpfte Schuhe. Sein Schlips war eine alarmierende Verschwörung aus purpurroten und pinkfarbenen Schnörkeln, und darüber saßen zwei blaue Augen, ausgeblichen wie ein Stück guten alten Tuchs, das lange der
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