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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Sonne ausgesetzt war.
    In der Dämmerung eines Aprilabends, als ein weiches Grau sich über die Baumwollfelder und die schwüle Stadt gelegt hatte, lehnte er, eine verschwommene Gestalt, an einem Bretterzaun, pfiff und blickte zur Mondfelge über den Lichtern der Jackson Street hinauf. Sein Verstand arbeitete unablässig an einem Problem, das seine Aufmerksamkeit seit einer Stunde in Anspruch nahm. Jelly-bean war zu einer Party eingeladen.
    In jenen lang vergangenen Tagen, als alle Jungen alle Mädchen verabscheut hatten, waren Clark Darrow und Jim in der Schule Banknachbarn gewesen. Doch während Jims gesellschaftliche Ambitionen in der öligen Luft der Autowerkstatt gestorben waren, hatte Clark sich abwechselnd ver- und entliebt, ein Collegestudium begonnen, mit dem Trinken angefangen und wieder aufgehört, kurz: sich zu einem der begehrtesten Kavaliere der Stadt entwickelt. Dennoch hatten Clark und Jim sich eine zwar lose, aber ganz unverbrüchliche Freundschaft bewahrt. An diesem Nachmittag nun war Clarks alter Ford langsam neben Jim, der auf dem Gehweg lief, hergefahren, und Clark hatte ihn aus heiterem Himmel zu einer Party im Country Club eingeladen. Der Impuls, aus dem heraus er dies tat, war nicht seltsamer als jener, aus dem heraus Jim zusagte. Letzteres mochte unterschwellige Langeweile gewesen sein, eine halbängstliche Abenteuerlust. Und nun dachte Jim noch einmal nüchtern darüber nach.
    Er begann zu singen und klopfte dabei mit seinem langen Fuß träge auf einen Pflasterstein, bis dieser im Takt zu der tiefen, kehligen Melodie hin und her wackelte:
»One mile from Home in Jelly-bean town,
Lives Jeanne, the Jelly-bean Queen.
She loves her dice and treats them nice;
No dice would treat her mean.«
    Er brach ab und versetzte den Gehweg in einen holperigen Galopp.
    »Verflixt!«, murmelte er halblaut.
    Sie würden allesamt da sein – die alte Clique, jene Clique, zu der Jim wegen des längst verkauften weißen Hauses und des Offiziers in Grau, dessen Porträt über dem Kamin hing, eigentlich hätte gehören müssen. Doch die anderen waren zu einem engen kleinen Kreis zusammengewachsen, so allmählich, wie die Kleider der Mädchen Zentimeter um Zentimeter länger geworden waren, und so endgültig, wie die Hosen der Jungen irgendwann plötzlich bis auf die Knöchel hinabreichten. Und in dieser Gesellschaft aus Vornamen und verflossenen Sandkastenlieben war Jim ein Außenseiter – ein guter Kumpel von armen Weißen. Die meisten Männer wussten, wer er war, und schauten auf ihn herab; drei oder vier Mädchen grüßte er auf der Straße, indem er sich mit dem Finger an den Hut tippte. Das war alles.
    Als die Dämmerung sich zu einer blauen Kulisse für den Mond verdichtet hatte, lief er durch die heiße, angenehm stark duftende Stadt zur Jackson Street. Die Geschäfte schlossen gerade, und die letzten Kunden drifteten, wie von den träumerischen Umdrehungen eines langsamen Karussells davongetragen, heimwärts. Weiter unten an der Straße schuf ein Jahrmarkt eine leuchtende Gasse aus bunten Ständen und untermalte den Abend mit einer musikalischen Melange – einem orientalischen Tanz, von einer Dampfpfeifenorgel gespielt, dem Gesang eines melancholischen Waldhorns vor einer Monstrositätenschau und einer heiteren Leierkastenversion von Back Home in Tennessee.
    Jelly-bean betrat ein Geschäft und kaufte sich einen Kragen. Dann schlenderte er weiter zu Soda Sam’s, wo die üblichen drei oder vier Wagen eines Sommerabends parkten und die kleinen schwarzen Kellner mit Eiscreme und Limonade hin und her liefen.
    »Hallo, Jim.«
    Die Stimme kam von der Seite – es war Joe Ewing, der mit Marylyn Wade in einem Auto saß. Auf der Rückbank erkannte Jelly-bean Nancy Lamar neben einem fremden Mann.
    Er tippte sich rasch grüßend an den Hut. »Hallo…«, und nach einer kaum wahrnehmbaren Pause, »wie geht’s?«
    Gemächlich setzte er seinen Weg zu der Werkstatt fort, wo er ein Zimmer im ersten Stock hatte. Sein »Wie geht’s?« hatte Nancy Lamar gegolten, mit der er seit fünfzehn Jahren kein Wort gewechselt hatte.
    Nancy hatte einen Mund wie die Erinnerung an einen Kuss und schattige Augen und blauschwarzes Haar, das sie von ihrer in Budapest geborenen Mutter geerbt hatte. Jim war ihr oft auf der Straße begegnet, wo sie wie ein kleiner Junge mit den Händen in den Hosentaschen entlangzuschlendern pflegte, und er wusste, dass sie und Sally Carrol Hopper, die unzertrennlich waren, von Atlanta bis nach New Orleans

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