Winterträume
Er hat mir einen Highball versprochen.«
»Also«, sagte Jim, »ich denk, das geht in Ordnung. Ich hab seinen Flachmann hier in der Tasche.«
Sie lächelte ihn strahlend an.
»Aber ich glaube, du brauchst ein bisschen Ginger Ale«, fügte er hinzu.
»Ich doch nicht. Bloß den Flachmann.«
»Sicher?«
Sie lachte verächtlich.
»Wirst schon sehen. Ich kann trinken wie ein Mann. Komm, setzen wir uns hin.«
Sie schwang sich auf die Tischkante, und er ließ sich neben ihr in einen der Korbstühle fallen. Dann zog sie den Korken aus der Flasche, führte sie an die Lippen und tat einen langen Zug. Er schaute fasziniert zu.
»Gut?«
Noch ganz atemlos schüttelte sie den Kopf.
»Nein, aber es tut gut. Ich glaub, so geht’s den meisten.«
Jim pflichtete ihr bei. »Meinem Daddy hat’s ein bisschen zu gut getan. Den hat’s erwischt.«
»Amerikanische Männer«, sagte Nancy feierlich, »verstehen nichts vom Trinken.«
»Was?« Jim war verwirrt.
»Im Grunde«, fuhr sie unbekümmert fort, »verstehen sie von gar nichts sonderlich viel. Das Einzige, was ich in meinem Leben bedaure, ist, dass ich nicht in England geboren wurde.«
»In England?«
»Ja. Das finde ich wirklich schade.«
»Gefällt es dir da drüben?«
»Ja. Ungeheuer. Ich war nie selber dort, aber ich habe viele Engländer kennengelernt, die als Soldaten hier waren, Männer aus Oxford und Cambridge – das entspricht bei uns Sewanee und Georgia, weißt du –, und außerdem habe ich natürlich eine Menge englischer Romane gelesen.«
Jim war interessiert, erstaunt.
»Hast du mal was von Lady Diana Manners gehört?«, fragte sie ernst.
Nein, das hatte er nicht.
»Sie ist so, wie ich gern wäre. Dunkel, verstehst du, genau wie ich, und wild wie der Teufel. Sie ist mit ihrem Pferd die Stufen zu irgendeiner Kathedrale oder Kirche hochgeritten, und danach haben alle Schriftsteller das ihre Romanheldinnen genauso machen lassen.«
Jim nickte höflich. Er war mit seinem Latein am Ende.
»Gib mal die Flasche her«, sagte Nancy. »Ich nehm noch einen Schluck. Ein kleiner Drink kann einem kleinen Mädchen nicht schaden.«
»Weißt du«, fuhr sie, nach dem Zug wieder etwas atemlos, fort, »die Leute dort drüben haben Stil. Hier hat niemand Stil. Ich meine, die Jungs hier sind es nicht wirklich wert, dass man sich für sie schönmacht oder irgendwas Aufsehenerregendes für sie anstellt. Findest du nicht auch?«
»Nein – ich meine ja«, murmelte Jim.
»Und dabei würde ich gern so etwas tun. Ich bin wirklich das einzige Mädchen in der Stadt, das Stil hat.«
Sie streckte die Arme aus und gähnte wohlig.
»Schöner Abend.«
»Stimmt.«
»Es wär schön, ein Boot zu haben«, sagte sie träumerisch. »Und auf einen silbernen See hinauszusegeln, auf die Themse zum Beispiel. Champagner und Kaviarhäppchen dabeizuhaben. Und ungefähr acht Leute. Und einer der Männer würde zur Unterhaltung der anderen über Bord springen und dabei ertrinken, wie es einem Mann in Lady Diana Manners’ Begleitung mal passiert ist.«
»Hat er das ihr zuliebe getan?«
»Bestimmt ist er nicht ihr zuliebe ertrunken. Er wollte nur über Bord springen und alle zum Lachen bringen.«
»Na, die sind sicher alle vor Lachen gestorben, als er ertrunken ist.«
»Ach, ein bisschen haben sie wahrscheinlich schon gelacht«, sagte sie. »Diana auf jeden Fall. Sie ist ziemlich hart, glaube ich – so wie ich.«
»Du bist hart?«
»Stahlhart.« Sie gähnte erneut und fügte hinzu: »Gib mir noch ein bisschen was aus der Flasche da.«
Jim zögerte, doch sie streckte trotzig die Hand aus.
»Behandel mich nicht wie ein kleines Mädchen«, warnte sie ihn. »Ich bin anders als alle Mädchen, die du so kennst.« Sie überlegte. »Aber vielleicht hast du recht. Du – du bist ein ganz schön kluges Bürschchen für dein Alter.«
Sie sprang auf und ging zur Tür. Jelly-bean erhob sich ebenfalls.
»Auf Wiedersehen«, sagte sie höflich, »auf Wiedersehen. Danke, Jelly-bean.«
Dann ging sie hinein und ließ ihn mit großen Augen auf der Veranda stehen.
III
Um zwölf Uhr kam ein feierlicher Umzug von Capes aus der Damengarderobe, die sich eins nach dem anderen wie beim Kotillon einem bemäntelten Kavalier zugesellten und mit selig erschöpftem Gelächter zur Tür hinaus schwebten – hinaus ins Dunkle, wo Autos zurücksetzten und Motoren schnaubten und Leute einander riefen und sich um Kühler scharten.
Jim, der in seiner Ecke saß, stand auf, um Clark zu suchen. Sie hatten sich
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