Winterträume
sah er ein Bild von ihr entstehen – Nancy, wie sie knabenhaft, lässig die Straße entlangschlenderte und von einem ergebenen Obsthändler eine Orange als Zehnten entgegennahm, wie sie im Soda Sam’s inmitten einer Schar von Verehrern ein berauschendes Getränk von einem fiktiven Bankguthaben bezahlte und in triumphalem Pomp davonfuhr, einem Nachmittag in Saus und Braus entgegen.
Jelly-bean trat auf die Veranda hinaus und zog sich in eine leere Ecke zurück, in die Dunkelheit zwischen dem mondbeschienenen Rasen und dem einzelnen Licht, das die Tür des Ballsaals erleuchtete. Er fand einen Stuhl, zündete sich eine Zigarette an und gab sich der gedankenlosen Träumerei hin, die seine gewohnte Gemütsverfassung war. Doch die Nacht machte es zu einer sinnlichen Träumerei, nicht anders als der Geruch feuchter Puderquasten, die in tiefen Ausschnitten steckten und tausend intensive, durch die offene Tür zu ihm herwehende Düfte herausdestillierten. Die Musik selbst, von einer lauten Posaune verwischt, wurde heiß und schattig, ein sehnsuchtsvoller Oberton, der das Scharren der vielen Schuhe und Slipper begleitete.
Plötzlich verdunkelte eine Gestalt das Rechteck aus gelbem Licht, das durch die Tür fiel. Ein Mädchen war aus der Garderobe gekommen und stand nicht weiter als drei Meter von ihm entfernt auf der Veranda. Jim hörte ein geflüstertes »verdammt«, bevor sie sich umdrehte und ihn entdeckte. Es war Nancy Lamar.
Jim stand auf. »’n Abend.«
»Hallo –« Sie hielt inne, zögerte und kam dann näher. »Ach, du bist’s – Jim Powell.«
Er verbeugte sich leicht und überlegte, was er sagen könnte.
»Meinst du«, begann sie rasch, »also – weißt du irgendwas über Kaugummi?«
»Wie?«
»Ich hab Kaugummi unterm Schuh. Irgendein Vollidiot hat sein oder ihr Kaugummi auf den Boden geworfen, und ich bin natürlich reingetreten.«
Jim wurde unsinnigerweise rot.
»Weißt du, wie man das wieder abkriegt?«, fragte sie ungeduldig. »Ich hab’s mit dem Messer versucht. Und mit allem, was ich in der blöden Garderobe finden konnte. Mit Seife und Wasser – sogar mit Parfüm, und dann hab ich mir noch meine Puderquaste ruiniert, weil ich sehen wollte, ob’s vielleicht daran kleben bleibt.«
Jim dachte einigermaßen erregt über ihre Frage nach.
»Also – vielleicht mit Benzin…«
Er hatte die Worte kaum ausgesprochen, da griff sie schon nach seiner Hand und zerrte ihn von der Veranda herunter, lief mit ihm mitten durch ein Beet und im Galopp auf eine Gruppe Autos zu, die im Mondlicht am ersten Loch des Golfplatzes parkten.
»Dreh das Benzin auf«, befahl sie außer Atem.
»Was?«
»Wegen des Kaugummis natürlich. Ich muss es abkriegen. Mit Kaugummi am Schuh kann ich nicht tanzen.«
Gehorsam wandte Jim sich den Autos zu und inspizierte sie im Hinblick darauf, wie er an das gewünschte Lösungsmittel herankommen könnte. Hätte sie einen Zylinder haben wollen, er hätte sein Möglichstes getan, um einen herauszureißen.
»Hier«, sagte er nach kurzem Suchen. »Bei dem hier geht’s leicht. Hast du ein Taschentuch?«
»Das hab ich oben gelassen, weil’s nass war. Ich hab’s für die Seife und das Wasser benutzt.«
Jim kramte umständlich in seinen Taschen. »Ich glaube, ich hab auch keins.«
»Verdammt! Aber wir könnten es doch aufdrehen und auf den Boden laufen lassen.«
Er betätigte den Hahn, und das Benzin begann zu tröpfeln.
»Mehr!«
Er drehte den Hahn noch weiter auf. Das Tröpfeln verwandelte sich in einen Strom und bildete eine hell schimmernde ölige Pfütze, in deren bebendem Schoß sich ein Dutzend zittriger Monde spiegelten.
»Ah«, seufzte sie zufrieden, »lass alles raus. Dann brauche ich nur noch darin zu waten.«
Verzweifelt drehte er den Hahn voll auf, und die Pfütze breitete sich im Nu aus und sandte kleine Flüsschen und Rinnsale in alle Richtungen.
»Ja, genau. So ist es gut.«
Sie hob den Rock an und setzte graziös ihren Fuß in die Pfütze. »Damit geht es bestimmt ab«, murmelte sie.
Jim lächelte. »Hier stehen noch viel mehr Autos rum.«
Sie trat anmutig wieder aus dem Benzin heraus und begann, Ränder und Sohle ihrer Slipper am Trittbrett des Automobils abzuschaben. Jetzt konnte Jelly-bean nicht mehr an sich halten. Er brach in schallendes Gelächter aus, und binnen kurzem stimmte Nancy ein.
»Du bist mit Clark Darrow hier, oder?«, fragte sie, als sie zur Veranda zurückgingen.
»Ja.«
»Weißt du, wo er jetzt ist?«
»Tanzen, denk ich.«
»Mist.
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