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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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war.
    IV
     
    Der düstere Raum über Tillys Werkstatt hallte den ganzen Tag vom Poltern und Schnauben unter ihm und vom Gesang der schwarzen Wäscher wider, die den Schlauch auf die draußen stehenden Autos richteten. Es war ein trauriges Viereck von einem Raum, mit nichts als einem Bett und einem schäbigen Tisch darin, auf dem ein halbes Dutzend Bücher lagen – Joe Millers Slow Train thru Arkansas, eine sehr alte, in einer altmodischen Handschrift ausgiebig kommentierte Ausgabe von Lucille; The Eyes of the World von Harold Bell Wright und ein altes Gebetbuch der Anglikanischen Kirche, auf dessen Deckblatt der Name Alice Powell und die Jahreszahl 1831 eingetragen waren.
    Der Osten, der noch grau gewesen war, als Jelly-bean die Werkstatt betreten hatte, verwandelte sich in ein leuchtendes, lebhaftes Blau, nachdem er die einzige elektrische Lampe eingeschaltet hatte. Er knipste sie wieder aus, ging zum Fenster, stützte die Ellbogen auf den Sims und starrte hinaus in den heller werdenden Morgen. Mit dem Erwachen seiner Gefühle nahm er als Erstes eine gewisse Vergeblichkeit wahr, einen dumpfen Schmerz über das graue Einerlei seines Lebens. Eine Mauer war plötzlich um ihn herum aus dem Boden geschossen, eine Mauer, so plastisch und greifbar wie die weiße Wand seines kahlen Zimmers. Und mit der Wahrnehmung dieser Mauer verblasste alles, was die Romantik seines Daseins bisher ausgemacht hatte – der Schlendrian, die heitere Unbeschwertheit, die herrliche Freigebigkeit des Lebens. Jelly-bean, der müßig vor sich hin summend die Jackson Street entlangschlenderte, der in jedem Laden und an jedem Kiosk bekannt war, der stets einen lockeren Gruß oder einen alten Kalauer parat hatte und höchstens mal um der Traurigkeit selbst und der verfliegenden Zeit willen traurig war – diesen Jelly-bean gab es plötzlich nicht mehr. Der Name selbst war ein Vorwurf, eine Plattheit. Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen, dass Merritt ihn verabscheuen musste, dass selbst Nancys Kuss in der Morgendämmerung keine Eifersucht in ihm geweckt haben konnte, sondern nur Verachtung für Nancy, die sich derart erniedrigt hatte. Und er für sein Teil hatte einen schmutzigen Trick für sie angewandt, den er in der Werkstatt gelernt hatte. Er war die Wäscherei für ihr Betragen gewesen; die Flecken hafteten an ihm.
    Als das Grau allmählich blau wurde, immer heller leuchtete und den Raum erfüllte, ging er zu seinem Bett, warf sich rücklings darauf und hielt sich mit beiden Händen krampfhaft am Bettrand fest.
    »Ich liebe sie«, rief er laut. »Gott!«
    Als er das sagte, gab etwas in ihm nach, als löste sich ein Kloß in seinem Hals. Die Luft wurde klarer und begann in der Morgenröte zu strahlen; er drehte sich auf den Bauch und weinte dumpf in sein Kissen.
    In der Drei-Uhr-Nachmittagssonne tuckerte Clark Darrow in seinem Ford schwerfällig die Jackson Street hinunter, als er plötzlich von Jelly-bean gerufen wurde, der mit den Daumen in der Westentasche am Bordstein stand.
    »Hallo!«, rief Clark zurück und vollführte eine erstaunliche Bremsung. »Gerade aufgestanden?«
    Jelly-bean schüttelte den Kopf. »Gar nicht erst im Bett gewesen. Konnte keine Ruhe finden und hab heute früh einen langen Spaziergang gemacht, draußen auf dem Land. Komm grade erst zurück.«
    »Kein Wunder, dass es dich umtreibt. Geht mir auch schon den ganzen Tag so…«
    »Ich geh vielleicht weg von hier«, sagte Jelly-bean ganz versonnen. »Zieh vielleicht auf die Farm oben im Norden und nehm Onkel Dun ein bisschen Arbeit ab. Hab lange genug auf der faulen Haut gelegen.«
    Clark schwieg, und Jelly-bean fuhr fort: »Wenn Tante Mamie stirbt, könnt ich mein Geld vielleicht in die Farm stecken und was draus machen. Meine ganze Familie stammt ursprünglich von da oben. Hatte ein großes Haus dort.«
    Clark schaute ihn überrascht an. »Das ist ja merkwürdig«, sagte er. »Die – die Sache hat auf mich eine ganz ähnliche Wirkung gehabt.«
    Jelly-bean zögerte. »Ich weiß nicht«, sagte er dann, »aber als das – das Mädchen gestern Abend über eine Dame namens Diana Manners geredet hat, eine englische Lady, also, das – das hat mich irgendwie nachdenklich gemacht!« Er richtete sich auf und sah Clark mit einem sonderbaren Gesichtsausdruck an. »Ich komm schließlich aus einer guten Familie«, sagte er trotzig.
    Clark nickte. »Ich weiß.«
    »Und ich bin der Letzte davon«, fuhr Jelly-bean fort und hob ein wenig die Stimme, »aber ich bin keinen Pfifferling

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