Winterträume
drei Jahre geirrt, aber es hat mich schon niedergedrückt, wie die Zeit vergeht.«
»Du und ich, wir sind mit sechzehn auf unseren ersten Ball gegangen – das ist fünf Jahre her.«
»Meine Güte!«, seufzte Myra. »Und jetzt haben einige Männer schon Angst vor mir. Ist das nicht eigenartig? Einige der nettesten Jungs. Einer hat mich fallenlassen wie eine heiße Kartoffel, nachdem er drei Wochenenden hintereinander extra von Morristown nach New York gekommen war. Irgendein guter Freund hatte ihm gesteckt, ich wollte mir in diesem Jahr unbedingt einen Ehemann schnappen, und da bekam er Angst, zu tief in die Sache hineinzugeraten.«
»Na ja, aber du willst dir doch tatsächlich einen schnappen, oder?«
»Ich denke schon… in gewissem Sinn.« Myra hielt inne und sah sich betont vorsichtig um. »Kennst du eigentlich Knowleton Whitney? Du weißt doch, wie toll er aussieht, und sein Vater soll millionenschwer sein, sagt man. Jedenfalls, bei unserer ersten Begegnung fiel mir auf, dass er nervös wurde, als er meinen Namen hörte, und sich sofort zurückzog – und, Lilah, Darling, so uralt und hausbacken bin ich doch auch wieder nicht, oder?«
»Selbstverständlich nicht!«, lachte Lilah. »Aber lass dir einen Rat geben: Such dir das beste Angebot aus – den Mann, der all die geistigen, körperlichen, gesellschaftlichen und finanziellen Qualitäten besitzt, die du dir wünschst –, und dann leg dich ins Zeug – so wie wir’s früher gemacht haben. Und wenn du ihn einmal hast, sag dir nicht: ›Na ja, so singen wie Billy kann er nicht‹ oder ›Ich wünschte, er würde besser Golf spielen‹. Man kann eben nicht alles haben. Mach die Augen zu und vergiss deinen Sinn für Humor, und dann, wenn du erst mal verheiratet bist, ist alles ganz anders, und du bist ausgesprochen froh darüber.«
»Ja«, meinte Myra abwesend, »diesen Rat kenne ich schon.«
»Romantische Gefühle zu entwickeln ist leicht, wenn man achtzehn ist«, fuhr Lilah mit Nachdruck fort, »aber nach fünf Jahren Romantik ist dein Vorrat ganz einfach erschöpft.«
»Ich hab so schöne Stunden erlebt«, seufzte Myra, »und so süße Männer. Um dir die Wahrheit zu sagen: Ich habe es auf jemanden abgesehen.«
»Auf wen?«
»Auf Knowleton Whitney. Glaub mir, das hört sich vielleicht ein bisschen blasiert an, aber ich kann immer noch jeden haben, den ich will.«
»Und du willst ihn wirklich?«
»Ja – sosehr ich das überhaupt kann. Er ist geistreich und schüchtern – ganz süß schüchtern –, und es heißt, seine Familie besitze das schönste Haus in ganz Westchester County.«
Lilah nippte an ihrem letzten Rest Tee und schaute auf ihre Armbanduhr.
»Es wird höchste Zeit für mich, Liebes.«
Sie erhoben sich, schlenderten auf die Park Avenue hinaus und riefen sich Taxis.
»Ich bin wirklich froh, Myra; und ich weiß, du wirst es auch sein.«
Myra übersprang eine kleine Pfütze und balancierte, als sie ihr Taxi erreicht hatte, auf dem Trittbrett wie eine Balletttänzerin.
»Wiedersehn, Lilah, bis bald.«
»Auf Wiedersehen, Myra. Viel Glück!«
Und so wie sie Myra kannte, hatte sie das Gefühl, dass ihre letzte Bemerkung absolut überflüssig war.
II
Das war auch der wesentliche Grund dafür, dass Knowleton Whitney eines schönen Freitagabends sechs Wochen später sieben Dollar und zehn Cent für ein Taxi ausgab und für einen Moment mit gemischten Gefühlen an Myras Seite auf den Stufen des Biltmore stehenblieb.
Die äußere Oberfläche seines Gemüts war wahnsinnig vor Glück, aber direkt darunter verdichtete sich langsam das Erschrecken über das, was er getan hatte. Er, den man seit seinem ersten Studienjahr in Harvard vor den Fängen bezaubernder Mitgiftjägerinnen bewahrt, den man an seinem fügsamen Genick gepackt und von mehreren süßen kleinen Dingern weggezerrt hatte, nutzte die Abwesenheit seiner Familie, die sich gerade im Westen aufhielt, um sich so tief in Fangnetzen zu verstricken, dass sich nur schwer sagen ließ, wo die Netze aufhörten und er anfing.
Der Tag war wie ein Traum gewesen: Novemberdämmerung auf der Fifth Avenue nach der Nachmittagsvorstellung, er und Myra, die aus der romantischen Ungestörtheit einer Hansom-Droschke – ein malerisches Gefährt! – auf die wimmelnden Massen blickten, dann Tee im Ritz, ihre schimmernde Hand neben ihm auf einer Sessellehne; und plötzlich hastige, abgerissene Worte. Danach die Fahrt zum Juwelier und ein verrücktes Essen in einem kleinen italienischen
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