Winterträume
Restaurant, wo er »Ja oder nein?« auf die Rückseite des Fahrscheines geschrieben und ihn zu ihr hinübergeschoben hatte, damit sie das ewig wunderbare »Das weißt Du doch!« hinzufügen konnte. Und jetzt, am Ende des Tages, blieben sie auf den Stufen des Biltmore stehen.
»Sag es«, atmete Myra dicht an seinem Ohr.
Er sagte es. Ach, Myra, wie viele Geister müssen in diesem Augenblick durch deine Erinnerung gehuscht sein!
»Du hast mich so glücklich gemacht, Liebster«, sagte sie sanft.
»Nein – du hast mich glücklich gemacht. Weißt du denn nicht… Myra…«
»Ich weiß.«
»Ganz sicher?«
»Ganz sicher. Ich habe doch das hier.« Und sie hob den Solitär an ihre Lippen. Myra wusste, wie man so etwas machte, ganz genau.
»Gute Nacht.«
»Gute Nacht. Gute Nacht.«
Wie eine zerbrechliche Fee in schillerndem Rosa lief sie die breite Treppe hinauf, und ihre Wangen glühten erregt, als sie die Fahrstuhlglocke läutete.
Nach Ablauf weiterer zwei Wochen erhielt sie ein Telegramm von ihm, seine Eltern seien aus dem Westen zurückgekehrt und würden sie zu einem einwöchigen Besuch in Westchester County erwarten. Myra telegrafierte ihre Ankunftszeit, kaufte sich drei neue Abendkleider und packte ihren Koffer.
Es war ein kühler Novemberabend, als sie dort ankam; beim Aussteigen aus dem Zug in der späten Abenddämmerung fröstelte sie ein wenig und hielt ungeduldig Ausschau nach Knowleton. Eine Zeitlang wimmelte der Bahnsteig von Männern, die aus der Stadt zurückgekehrt waren; man hörte das laute Durcheinander der Stimmen von Ehefrauen und Fahrern, das Dröhnen von Autos, die zurücksetzten, wendeten und davonglitten. Noch ehe sie recht wusste, was geschah, war der Bahnsteig völlig verlassen, und nicht ein einziger der luxuriösen Wagen blieb zurück. Knowleton musste sie mit einem anderen Zug erwartet haben.
Mit einem fast unhörbaren »Verdammt!« ging sie auf das elisabethanische Bahnhofsgebäude zu, um zu telefonieren. Plötzlich wurde sie von einem sehr schmutzigen, schäbigen Mann angesprochen, der sie mit einem Finger an seiner bejahrten Mütze grüßte und sich mit brüchiger, nörgeliger Stimme an sie wandte.
»Sie Miss Harper?«
»Ja«, gab sie ziemlich verblüfft zu. Dieser unmögliche Mensch war doch nicht etwa der Chauffeur?
»Der Chauffeur ist krank«, fuhr er mit schrill wimmernder Stimme fort. »Ich bin sein Sohn.«
Myra schnappte nach Luft.
»Sie meinen Mr. Whitneys Chauffeur?«
»Ja; seit Kriegsende hat er nur noch einen. Ganz groß im Sparen – der reinste Hoover.« Er stampfte nervös mit den Füßen auf und klatschte riesige Handschuhe zusammen. »Nja, kein Zweck, hier in der Kälte herumzuquasseln. Nehm’ Ihre Tasche.«
Viel zu erstaunt für Worte und nicht wenig schockiert folgte sie ihrem Führer zum Ende des Bahnsteigs, wo sie vergeblich nach einem Wagen suchte. Aber sie brauchte nicht lange zu rätseln, denn der Mensch lenkte ihre Schritte zu einem zerbeulten alten Gefährt, in dem ihre Tasche verstaut wurde.
»Große Wagen’s kaputt«, erklärte er. »Müssen den nehmen oder laufen.«
Er öffnete die vordere Tür und nickte ihr zu.
»Einsteigen.«
»Ich setz mich lieber hinten rein, wenn Sie nichts dagegen haben.«
»Wie Sie wollen«, gackerte er und öffnete die hintere Tür. »Dachte mir nur, es macht Sie nervös, wenn der Koffer dahinten so rumrutscht.«
»Welcher Koffer?«
»Ihrer.«
»Oh, hat Mr. Whitney nicht… können Sie nicht zweimal fahren?«
Er schüttelte eigensinnig den Kopf.
»Würd er nicht erlauben. Nicht seit dem Krieg. Reiche Leute müssen ein Beispiel geben, sagt Mr. Whitney immer. Geben Sie mir mal Ihren Gepäckschein, bitte?«
Während er verschwand, versuchte Myra vergeblich, ein Bild des Chauffeurs heraufzubeschwören, wenn das hier sein Sohn war. Nach einer mysteriösen Auseinandersetzung mit dem Bahnhofsvorsteher kehrte er zurück, völlig außer Atem, mit dem Koffer auf dem Rücken. Er deponierte ihn auf dem Rücksitz und stieg vorne neben ihr ein.
Es war schon fast dunkel, als sie mit einem plötzlichen Schlenker von der Straße in die lange, dämmrige Auffahrt zum Anwesen der Whitneys einbogen, von welchem aus erleuchtete Fenster große Flecken aus warmem, gelbem Licht auf Kies, Rasen und Bäume warfen. Auch jetzt noch konnte sie erkennen, dass es sich um ein sehr schönes Haus handelte, dessen verschwommene Umrisse auf georgianischen Kolonialstil schließen ließen, von beiden Seiten her eingerahmt durch weitläufige,
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