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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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fand. Sie ging hinunter, versuchte in einer Filmzeitschrift zu lesen und hoffte, dass sie nicht allein im Haus sein würde, wenn kurz nach vier Uhr die Winterdunkelheit hereinbrach.
    An diesem Nachmittag hatte Mrs. Oral dem Dienstmädchen carpe diem gesagt, und Yanci wollte eben in der Küche nachsehen, ob das Mädchen schon gegangen war, als plötzlich die wieder eingeschaltete Klingel durchs Haus schellte. Yanci erschrak. Sie wartete einen Moment, dann öffnete sie die Tür. Es war Scott Kimberly.
    »Ich wollte mich nur mal nach dir erkundigen«, sagte er.
    »Ach! Mir geht es schon viel besser, danke«, antwortete sie mit jener stillen Würde, die ihrer Rolle angemessen schien.
    Sie standen etwas befangen in der Diele und erinnerten sich beide an ihre letzte, halb amüsante, halb romantische Begegnung. Es schien ein so respektloses Vorspiel zu einem derart traurigen Unglücksfall zu sein. Jetzt gab es nichts mehr, was sie verband, keine Kluft, die durch eine zarte Anspielung auf ihre gemeinsame Vergangenheit überbrückt werden konnte, und auch keine Grundlage, auf der Scott hätte vorgeben können, ihren Kummer zu teilen.
    »Möchtest du nicht hereinkommen?«, fragte sie und kaute nervös auf ihrer Lippe herum. Er folgte ihr ins Wohnzimmer und setzte sich neben sie aufs Sofa. Kaum eine Minute später weinte sie an seiner Schulter, einfach weil er da war und lebendig und freundlich war.
    »Na, na!«, sagte er, während er den Arm um sie legte und ihr tölpisch auf die Schulter klopfte. »Na, na, na!«
    Er war klug genug, ihrem Verhalten keine tiefere Bedeutung zuzuschreiben. Sie war von Kummer und Einsamkeit und Sentimentalität überwältigt; praktisch jede andere Schulter hätte es auch getan. Der biologische Reiz, der für sie beide davon ausging, war nicht größer, als wäre Scott hundert Jahre alt gewesen. Nach wenigen Augenblicken richtete sie sich auf.
    »Entschuldige«, murmelte sie mit brüchiger Stimme. »Aber es ist – es ist heute so trostlos hier im Haus.«
    »Ich weiß genau, wie du dich fühlst, Yanci.«
    »Hast du – hast du Tränen auf dein Jackett bekommen?«
    In Reaktion auf die angespannte Stimmung brachen sie beide in hysterisches Gelächter aus, und damit gewann sie für den Moment ihren Anstand wieder.
    »Ich weiß auch nicht, warum ich mich ausgerechnet an deiner Schulter ausheulen muss«, jammerte sie. »Eigentlich ist es nicht meine Art, das bei je-hedem zu machen, der gerade hereinkommt.«
    »Ich nehme es als – als Kompliment«, antwortete er sachlich, »und ich verstehe, in welcher Verfassung du bist.« Dann, nach einer Pause: »Weißt du schon, was du jetzt tun wirst?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Ka-haum«, murmelte sie zwischen kleinen Seufzern. »Ich da-hachte, ich fahre vielleicht eine Zeitlang zu meiner Tante nach Chicago.«
    »Das wäre bestimmt das Beste – ganz bestimmt.« Und weil ihm sonst nichts einfiel, was er hätte sagen können, fügte er hinzu: »Ja, ganz bestimmt das Beste.«
    »Was treibst du – hier in der Stadt?«, fragte sie zwischen winzigen Atemzügen und betupfte ihre Augen mit einem Taschentuch.
    »Ach, ich bin – bei den Rogers’. Schon eine Weile.«
    »Zum Jagen?«
    »Nein, nur so.«
    Er sagte ihr nicht, dass er ihretwegen geblieben war. Sie hätte es womöglich als dreist empfunden.
    »Verstehe«, sagte sie, obwohl sie es nicht verstand.
    »Ich frage mich, ob ich nicht irgendetwas für dich tun kann, Yanci. Vielleicht für dich in die Stadt fahren oder Besorgungen machen – was auch immer. Vielleicht möchtest du dich auch warm einpacken und mal an die frische Luft kommen. Ich könnte dich abends einmal in deinem Wagen spazieren fahren, und niemand würde dich sehen.«
    Er verschluckte das letzte Wort, als ihm dämmerte, wie unbedacht sein Vorschlag war. Voller Entsetzen starrten sie einander an.
    »O nein, danke!«, rief sie. »Ich möchte wirklich nicht spazieren fahren.«
    Zu seiner Erleichterung ging die Haustür auf, und eine ältere Dame kam herein. Es war Mrs. Oral. Scott stand sofort auf und trat den Rückzug an.
    »Wenn Sie sicher sind, dass ich nichts für Sie tun kann…«
    Yanci stellte ihn Mrs. Oral vor; dann ließ sie die ältere Frau beim Feuer stehen und begleitete ihn hinaus. Sie hatte plötzlich eine Idee.
    »Warte einen Moment.«
    Sie lief die Stufen zum Haus hinauf und kehrte kurz darauf mit einem pinkfarbenen Zettel in der Hand zurück.
    »Du könntest doch etwas für mich tun«, sagte sie. »Geh bitte mit dem Scheck hier

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