Winterträume
zur First National Bank und lös ihn ein. Du kannst mir das Geld jederzeit vorbeibringen.«
Scott holte seine Brieftasche hervor und öffnete sie. »Ich könnte ihn auch jetzt gleich einlösen«, schlug er vor.
»Ach, es eilt nicht.«
»Aber warum nicht jetzt.« Er nahm drei neue Hundertdollarscheine heraus und gab sie ihr.
»Das ist wahnsinnig lieb von dir«, sagte Yanci.
»Nicht der Rede wert. Darf ich, wenn ich das nächste Mal in der Gegend bin, bei dir vorbeischauen?«
»Ich würde mich freuen.«
»Dann werde ich das tun. Ich reise heute Abend zurück an die Ostküste.«
Die Tür ging zu, und er stand allein in der verschneiten Dämmerung, während Yanci zu Mrs. Oral zurückkehrte. Mrs. Oral wollte Pläne erörtern.
»Und, meine Liebe, was gedenkst du jetzt zu tun? Wir sollten wohl irgendeinen Plan haben, nach dem wir vorgehen können, also wollte ich mal nachfragen, ob du schon etwas Konkretes ins Auge gefasst hast.«
Yanci versuchte nachzudenken. Sie hatte das Gefühl, entsetzlich allein auf der Welt zu sein.
»Ich habe noch nichts von meiner Tante gehört. Heute Morgen habe ich ihr noch einmal telegrafiert. Vielleicht ist sie in Florida.«
»Und dann würdest du dort hingehen?«
»Ich glaube schon.«
»Und das Haus würdest du aufgeben?«
»Ich glaube schon.«
Mrs. Oral blickte sich mit gelassenem Pragmatismus um. Ihr kam der Gedanke, dass sie vielleicht selbst gerne hier wohnen würde, sofern Yanci das Haus aufgab.
»Und weißt du denn«, fuhr sie fort, »wie du finanziell dastehst?«
»Ganz gut, nehme ich an«, antwortete Yanci gleichgültig. Und dann mit einer plötzlichen Gefühlsaufwallung: »Es war genug für zwei-hei da; dann sollte es wohl auch für ei-heinen reichen.«
»Das meine ich nicht«, sagte Mrs. Oral. »Ich meine: Weißt du über die Einzelheiten Bescheid?«
»Nein.«
»Nun, das dachte ich mir. Und ich finde, du solltest über alle Einzelheiten Bescheid wissen – einen detaillierten Bericht darüber bekommen, welcher Art dein Vermögen ist und wo es liegt. Deshalb habe ich Mr. Haedge angerufen, der deinen Vater persönlich sehr gut kannte, und ihn gebeten, heute Nachmittag herzukommen und die Unterlagen durchzusehen. Er wird übrigens auch bei der Bank deines Vaters vorbeigehen und sich dort über alle Einzelheiten informieren. Ich glaube nicht, dass dein Vater ein Testament hinterlassen hat.«
Einzelheiten! Einzelheiten! Einzelheiten!
»Danke«, sagte Yanci. »Das wäre sehr – nett.«
Mrs. Oral nickte drei oder vier Mal energisch mit dem Kopf, als setze sie dicke Punkte. Dann stand sie auf.
»Und jetzt mache ich dir, falls Hilma schon fort ist, einen Tee. Möchtest du ein wenig Tee?«
»Vielleicht.«
»Gut, dann mache ich dir einen schö nen Tee.«
Tee! Tee! Tee!
Mr. Haedge, der aus einer der besten schwedischen Familien der Stadt stammte, traf um fünf Uhr ein. Er begrüßte Yanci mit Leichenbittermiene; sagte, er habe sich schon einige Male nach ihr erkundigt; habe bereits die Grabträger bestellt und werde jetzt im Handumdrehen herausfinden, wie sie dastehe. Ob es denn wohl ein Testament gebe? Sie wisse es nicht? Nun, wahrscheinlich gebe es keins.
Es gab eins. Er fand es fast augenblicklich in Mr. Bowmans Schreibtisch – doch dann arbeitete er an jenem Abend bis elf, ohne sonst noch viel zu finden. Am nächsten Morgen kam er um acht, ging um zehn in der Stadt zur Bank, von dort zu einer gewissen Maklerfirma, und um zwölf stand er wieder vor Yancis Tür. Er hatte Tom Bowman einige Jahre lang gekannt und war doch aufs Äußerste erstaunt, als er entdeckte, in welchem Zustand der gutaussehende Galan seine Angelegenheiten hinterlassen hatte.
Er beriet sich mit Mrs. Oral und teilte einer erschrockenen Yanci noch am selben Nachmittag in gemessenen Worten mit, dass sie so gut wie mittellos sei. Mitten in dieser Unterredung traf ein Telegramm aus Chicago ein, des Inhalts, dass ihre Tante in der vergangenen Woche zu einer Orientreise aufgebrochen sei und erst im späten Frühjahr zurückerwartet werde.
Die schöne Yanci, so großzügig, so sorglos und lässig im Umgang mit ihren herrlichen Adjektiven, hatte für dieses Desaster keines parat. Sie schlich die Treppe hinauf wie ein gekränktes Kind und setzte sich vor den Spiegel, wo sie sich, um Trost zu finden, das üppige Haar bürstete. Sie bürstete es mit einhundertfünfzig Strichen, ganz nach Vorschrift, und dann noch weitere einhundertfünfzig Mal – zu verstört, um mit der nervösen Bewegung
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