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Winterträume

Winterträume

Titel: Winterträume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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war auch die letzte Hoffnung dahin. Die verträumte, schläfrige Yanci war nun endlich auf sich selbst gestellt.
    »Warum gehen Sie nicht eine Zeitlang arbeiten?«, schlug Mr. Haedge etwas gereizt vor. »Das tun heutzutage viele anständige junge Frauen, einfach, um sich mit etwas zu beschäftigen. Elsie Prendergast zum Beispiel, die Gesellschaftsnachrichten für das Bulletin schreibt, und die kleine Semple –«
    »Das geht nicht«, sagte Yanci knapp; in ihren Augen schimmerten Tränen. »Ich reise im Februar an die Ostküste.«
    »An die Ostküste? Ach, besuchen Sie dort jemanden?«
    Sie nickte. »Ja, ich besuche jemanden«, log sie, »deshalb lohnt es sich kaum noch, arbeiten zu gehen.« Sie hätte weinen können, schaffte es jedoch, ein hochmütiges Gesicht aufzusetzen. »Für eine Zeitung berichten würde ich allerdings auch gerne mal, bloß so zum Spaß.«
    »Ja, das macht großen Spaß«, stimmte Mr. Haedge leicht ironisch zu. »Aber Eile ist wohl nicht geboten. Sie haben ja sicher noch eine Menge von den eintausend Dollar übrig.«
    »O ja, eine Menge!«
    Sie wusste, dass sie noch ein paar hundert übrig hatte.
    »Nun, dann wird ein wenig Erholung, ein Tapetenwechsel wohl das Beste für Sie sein.«
    »Ja«, antwortete Yanci. Ihre Lippen zitterten, und als sie aufstand, war sie kaum in der Lage, sich zu beherrschen. Mr. Haedge wirkte auf eine so unpersönliche Weise kalt. »Deshalb fahre ich ja auch weg. Erholung ist genau das, was ich brauche.«
    »Ich denke, das ist sehr klug von Ihnen.«
    Was Mr. Haedge gedacht hätte, wenn er die zahlreichen Entwürfe eines gewissen Briefes zu Gesicht bekommen hätte, die sie an jenem Abend schrieb, ist zweifelhaft. Hier sind zwei der früheren Versionen. Die in Klammern gesetzten Wörter sind Alternativvorschläge:
Lieber Scott,
da wir uns seit jenem Tag, als ich dummer Esel in Dein Jackett geweint habe, nicht mehr gesehen haben, dachte ich mir, ich schreibe Dir, um Dich wissen zu lassen, dass ich sehr bald an die Ostküste kommen werde, und Dich zu fragen, ob Du Lust hättest, mit mir zu Mittag (Abend) zu essen oder etwas in der Art. Ich wohne im Moment in einem Zimmer (einer Suite) im Hiawatha Hotel und warte auf meine Tante, bei der ich leben (wohnen) werde und die diesen Monat (dieses Frühjahr) aus China zurückkehrt. Ich habe etliche Einladungen, Bekannte an der Ostküste zu besuchen etc., und da dachte ich, das könnte ich jetzt gut machen. Daher würde ich Dich gerne treffen…
    Dieser Entwurf endete hier und landete im Papierkorb. Nach einer weiteren Stunde Arbeit hatte sie Folgendes zustande gebracht:
Mein lieber Mr. Kimberly ,
ich habe mich oft (manchmal) gefragt, wie es Ihnen wohl ergangen ist, seit wir uns zuletzt gesehen haben. Ich komme nächsten Monat, bevor ich zu meiner Tante nach Chicago fahre, an die Ostküste, und dann müssen Sie mich besuchen. Ich gehe im Moment kaum aus, aber mein Arzt meint, ich brauche ein bisschen Abwechslung, also gedenke ich mit ein paar fröhlichen Begegnungen an der Ostküste gegen die Anstandsregeln zu verstoßen –
    Als sie schließlich völlig verzagt war, schrieb sie einfach drauflos, eine schlichte Nachricht ohne Erklärung oder Vorwand, zerriss sie und ging zu Bett. Am nächsten Morgen fischte sie sie aus dem Papierkorb, fand, dass es letztlich von allen der beste Entwurf war, und schickte Scott Kimberly eine ordentliche Abschrift davon. Die Nachricht lautete nun folgendermaßen:
Lieber Scott ,
nur ein paar Zeilen, um Dich wissen zu lassen, dass ich ab dem siebten Februar im Hotel Ritz-Carlton wohnen werde, wahrscheinlich für zehn Tage. Solltest Du mich eines verregneten Nachmittags anrufen, lade ich Dich gerne zum Tee ein.
Herzlich,
Yanci Bowman
    VII
     
    Yanci stieg nur deshalb im Ritz ab, weil sie Scott Kimberly einmal erzählt hatte, sie steige immer dort ab. Als sie in New York ankam – einem kalten New York, einem seltsam bedrohlichen New York, so ganz anders als die ausgelassene Stadt der Theater und Hotelflur-Rendezvous, die sie kannte –, hatte sie noch genau zweihundert Dollar im Portemonnaie.
    Ein Großteil ihres Bankguthabens war in ihren Lebensunterhalt geflossen, und schließlich hatte sie auch noch ihre heiligen dreihundert Dollar angebrochen, um die schwere, schwarze Kleidung, die sie beiseitegelegt hatte, gegen hübsche, feine Vierteltrauerkleider einzutauschen.
    Sie betrat das Hotel just in dem Augenblick, als seine fabelhaft gekleideten Gäste sich zum Mittagessen versammelten, und es

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